München – Das bekannteste Werk des Bildhauers Hubertus von Pilgrim (92) steht in 23-facher Ausfertigung verstreut in Oberbayern: das Todesmarsch-Mahnmal. Angeregt durch eine Schüler-Facharbeit über den örtlichen jüdischen Friedhof war die Gemeinde Gauting 1989 die erste, die das Mahnmal in Auftrag gab: eine Gruppe stilisierter, ausgemergelter Figuren – Symbol für den Marsch von KZ-Häftlingen, die Ende April 1945 zunächst von den Lagern in Kaufering/Landsberg Richtung Dachau, von dort dann weit ins Oberland und teilweise bis nach Mittenwald getrieben wurden.
Nach und nach kamen, nach teils erbittertem Streit, weitere Mahnmale dazu – etwa im Würmtal, aber auch in Kaufering und in Fürstenfeldbruck. Die Mahnmale spiegeln den NS-Terror wider, sie machen deutlich, wie allgegenwärtig er am Kriegsende war. Fast könnte man sagen: Der Holocaust kam an den Haustüren vorbei.
In den 1990er- und den 2000er-Jahren gab es alljährlich große Gedenkfeiern, zu denen auch ehemalige Häftlinge aus Israel kamen. Als diese älter und älter wurden, schien es eine Zeit lang, als würde das Interesse erlahmen. Erstaunlicherweise ist das nicht so.
Mittlerweile sind es vor allem kleine Initiativen, die manchmal zusammen mit Schulklassen das Gedenken wachhalten. Ein Anlass ist der heutige 27. Januar, der Tag der Befreiung des Vernichtungslagers Auschwitz: 1996 hatte der damalige Bundespräsident Roman Herzog den 27. Januar zum Gedenktag für die Opfer des Nazi-Regimes erklärt, 2005 bestimmte die Generalversammlung der Vereinten Nationen den 27. Januar international zum Tag des Gedenkens an die Holocaust-Opfer. Und so finden auch am heutigen Samstag wieder Gedenkminuten statt, etwa in Fürstenfeldbruck (11 Uhr), Poing (18 Uhr) oder Weilheim (17 Uhr).
Das lokale Engagement ist erstaunlich – und in einer Zeit, da Rechtsextremisten mit Beteiligung der AfD erneut über Deportationen sinnieren, sicher lobenswert. Es gibt aber bis heute nicht das Standardwerk zum Todesmarsch. Zwar ist die Geschichte in Umrissen gut erforscht. So steht fest, dass die SS auf der Flucht vor den heranrückenden französischen und amerikanischen Truppen die KZ-Häftlinge vor sich hertrieb, ehe die alliierten Soldaten die zum Teil weit auseinandergezogenen Kolonnen einholen konnten. Die meisten Häftlinge wurden entweder im KZ Dachau oder während des Marsches bei Waakirchen/Reichertsbeuern befreit. Wie viele während des Marsches starben, ist aber nie recherchiert worden und fast nichts ist zu den Tätern bekannt. Auf vielen Friedhöfen, so den jüdischen Grabstätten bei St. Ottilien und Gauting oder auch auf dem großen KZ-Friedhof bei Schwabhausen/Weil (am Bahndamm Richtung Landsberg), wurden Todesmarsch-Häftlinge bestattet. Für das Kauferinger Mahnmal mussten auf einer Tafel im vergangenen Jahr sogar Zahlen korrigiert werden. Hatte es bisher geheißen, von den rund 30 000 KZ-Häftlingen von Kaufering seien etwa 20 000 gestorben, so heißt es nun, es seien 23 500 Häftlinge gewesen, von denen mehr als 6500 starben, weitere 3500 seien noch in andere Lager wie Auschwitz deportiert worden und hätten das nicht überlebt.
So kann man gespannt auf ein Buch sein, das der Historiker Andreas Wagner aus Geretsried plant. Er hat zahlreiche Vernehmungsprotokolle einstiger Bewacher gefunden und will eine Gesamtgeschichte schreiben. 2025, wenn sich der Todesmarsch zum 80. Mal jährt, soll sie erscheinen. DIRK WALTER