Mode aus Menschenhaar

von Redaktion

INTERVIEW Antonia Schmid hat für ihre Abschlussarbeit ein Nachhaltigkeitsprojekt gestartet

Antonia Schmid trägt den schwarzen Faltenrock und die goldene Bluse ihrer Oma, den dunkelblauen Daunenmantel mit silbernen aufgenähten Ornamenten hat sie selbst gemacht – aus Daunenkissen. Die 22-Jährige ist ein Modemädchen mit Mission: Sie will zeigen, dass es eine Alternative zur Wegwerfmode gibt. Die Augsburgerin hat vor Kurzem ihr Studium an der Akademie Mode & Design abgeschlossen, für ihre Abschlussarbeit hat sie etwas entworfen, was bei vielen Ekel auslöst – oder zumindest Fragen aufwirft: Kleidung aus Menschenhaar.

Frau Schmid, wie kommen Sie zur Mode?

Ich habe als Kind ständig die Outfits der Barbie-Puppen bestaunt. Mein Kleid für den Abschlussball habe ich selbst geschneidert, ich habe den Stoff auf den Boden gelegt, mich drauf und mit Kreide einen Umriss gezeichnet. Das sah gar nicht schlecht aus.

Wie kamen Sie auf die Idee, aus Menschenhaar Mode zu machen?

Ich interessiere mich schon lange für Nachhaltigkeit, für Upcycling. Also das Umwandeln von nutzlosen Stoffen in neuwertige Produkte. Als ich ein Thema für meine Abschlussarbeit gesucht habe, bin ich aufgewacht und dachte: Haare! Das ist es! Ich wollte ein Abfallprodukt verarbeiten, das sonst keinen Zweck mehr hat.

Woher hatten Sie das Haar?

Ich habe in Augsburg die Friseursalons abgeklappert und gefragt, ob ich die Haar-Abfälle haben kann. Viele haben fleißig für mich gesammelt. Einmal pro Woche bin ich vorbeigekommen und habe die Haare in Papiertüten heimgetragen. In Plastik würden die Haare zu riechen beginnen. Als ich 20 Kilo Haare daheim hatte, begann die eigentliche Arbeit.

Erzählen Sie mal.

Es war nicht einfach, eine Spinnerei zu finden, die mir aus den Haaren Garn spinnen kann. Ein Tipp hat mich zu einer Frau aus Flintsbach am Inn geführt. Und die Hochschule in Reutlingen kann aus Garn Vlies herstellen. Für die Verarbeitung mussten die Haare die gleiche Länge haben. Drei Zentimeter für das Vlies, zehn für das Garn. Deshalb habe ich daheim Haarbüschel in die richtige Länge geschnitten – wochenlang.

War Ihre Wohnung nicht voller Haare?

Ja, doch. Meine Familie war zum Glück sehr verständnisvoll. Leider ist mir mit der ersten Charge ein Fehler in der Verarbeitung passiert, die Haare waren total verklumpt, weil ich das falsche Bindemittel verwendet habe. Also bin ich noch mal losgezogen und habe in drei Tagen sechs Kilo gesammelt. Ich wollte auf keinen Fall aufgeben.

Viele Menschen ekeln sich vor fremden Haaren – oder vor den eigenen, sobald sie in der Dusche liegen. Wie ist das bei Ihnen?

Ich empfinde gar keinen Ekel. Die Haare, die ich verarbeite, werden beim Friseur ja gewaschen. Und die meisten Menschen stecken so viel Liebe, Zeit und Geld in ihre Haare. Es ist doch schade, wenn man daraus nichts macht.

Was haben Sie daraus gemacht?

Die Verarbeitung von menschlichen Haaren ist nicht einfach, weil die Struktur unterschiedlich und sehr fest ist. Ich habe das Garn und das Vlies überfärbt – mit verschiedenen Natur- und Abfallstoffen, zum Beispiel mit Kaffeesatz, Zitronenschalen, Zwiebeln oder Kartoffeln. Im Textilmuseum Augsburg konnte ich einen Webstuhl ausleihen, mit dem ich das Garn zu einem Stoff gewebt habe. Schwerstarbeit!

Ist der Stoff nicht kratzig?

Schon ein bisschen. Man kennt das ja, auch beim Friseur kitzeln die scharfen Schnittkanten der Haare, die im Nacken kleben. Mein Stoff und das Garn haben überall Schnittkanten. Aber mein Projekt war nicht für die Massenproduktion. Das Thema ist noch eine Nische. Man müsste dazu viel mehr forschen. Mir ging es darum, ein Bewusstsein für Nachhaltigkeit zu wecken. Haare gibt es schließlich genug. Allein in Europa fällt in einem Jahr die Masse von siebeneinhalb Eiffeltürmen an – nur aus den Friseursalons.

Welche Kleidungsstücke haben Sie aus dem Haar-Vlies und -Garn gemacht?

Insgesamt habe ich 18 Teile gemacht, einen Pulli, ein Kleid – und Schmuck wie Ketten und Ohrringe. Für die Silhouetten habe ich mich an der viktorianischen Zeit orientiert. Damals hat man aus Haaren Schmuckstücke gemacht und sie an seine Liebsten verschenkt. Das finde ich einen schönen Gedanken.

Aber Ihre Kleidungsstücke bestehen ja nicht nur aus Haaren, oder?

Nein. Ich habe zum Beispiel auch Olivenleder verarbeitet, das wird mit Gerbstoffen aus Olivenblättern pflanzlich gegerbt und ist daher umweltverträglich.

Und wie kamen die Kleidungsstücke an?

Sehr gut. Ich durfte sie auf einer Modenschau in München präsentieren. Meine Abschlussarbeit wurde mit der Note 1,3 bewertet. Für mein Fotoshooting habe ich Models bei einer Agentur engagiert, ein Bekannter hat die Fotos gemacht. Inzwischen arbeite ich für eine nachhaltige Modefirma in Feldkirchen. Und bei der Fashion Week in Paris werde ich auch arbeiten. Ich möchte die Branche besser verstehen. Ich könnte mir vorstellen, irgendwann einmal ein Modelabel zu haben. Bis dahin will ich auf Instagram über Nachhaltigkeit in der Mode aufklären.

Interview: Carina Zimniok

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