Religionskrise in der Koalition

von Redaktion

VON DIRK WALTER UND CHRISTIAN DEUTSCHLÄNDER

München – Ein Religionskrieg in der Bayern-Koalition? Droht gar ein Schisma, also eine Trennung? So weit ist es wohl nicht. Doch im Streit um die Bedeutung von Religionsunterricht in der Grundschule stehen die Standpunkte vorerst unvereinbar nebeneinander. Die CSU will jede Kürzung beim Religionsunterricht blockieren, die Freien Wähler stellen sich indes hinter das Konzept ihrer Kultusministerin. Am Donnerstag hatte Anna Stolz (FW) im Bildungsausschuss des landtags für eine Überraschung gesorgt. Sie will aufgrund der schlechten Pisa-Ergebnisse bei den Deutsch- und Mathematik-Stunden in der Grundschule aufstocken. Weil aber die Stundenzahl insgesamt nicht steigen darf, muss irgendwo gekürzt werden – und dabei will Stolz auch Religion nicht ausnehmen.

Nachdem unsere Zeitung am Freitag berichtet hatte, schwoll der Protest an. Erst beschwerte sich der Diözesanrat der Katholiken, dann stellte sich Staatskanzleichef Florian Herrmann (CSU) quer. Auch Ute Eiling-Hütig (CSU), Vorsitzende des Bildungsausschusses im Landtag, bekräftigte: „Ich persönlich möchte beim Religionsunterricht nicht kürzen.“ Gestern bestätigte Ministerpräsident Markus Söder das CSU-Veto. „Bei Religion wird nicht gekürzt.“ Das sei „mehr ein kommunikatives Missverständnis“ gewesen, sagte er vor Journalisten mit Blick auf Stolz’ Auftritt im Landtag. Es gehe hier „nicht um einen Gefallen gegenüber den Kirchen, sondern um Werteerziehung“. Söder bekräftigte seinen Vorschlag, den Englisch-Unterricht an Grundschulen zu hinterfragen.

Hingegen unterstützt der Fraktionschef der Freien Wähler, Florian Streibl, das Vorgehen von der Ministerin: „Ich stehe hinter den Plänen von Kultusministerin Anna Stolz“, erklärte er auf Anfrage unserer Zeitung. „Als katholischer Theologe stehe ich hinter dem Religionsunterricht und der christlichen Werteerziehung.“ Aber: „Gleichwohl halte ich auch eine Einbeziehung des Fachs Religion in die Flexibilisierung der Stundentafel in der Grundschule für angebracht und sinnvoll.“ Simone Fleischmann vom BLLV unterstützt diese Linie: „Für meine Begriffe ist da auch Religion nicht auszuschließen.“

Obwohl die kirchliche Bindung auch in Bayern schwindet, besucht immer noch die große Mehrzahl der Grundschüler den Religionsunterricht. Von 110 000 Drittklässlern waren im Schuljahr 2022/23 fast die Hälfte (52 700) für katholische Religionslehre angemeldet. Weitere 23 500 besuchten evangelische Religion. Für Ethik angemeldet waren 30 700, für islamischen Unterricht (den es nur teilweise gibt) 3200 Schüler.

Wie der Kürzungsstreit ausgeht, scheint offen. Anna Stolz will einen „Orientierungsrahmen“ in einigen Wochen vorlegen. Darin sollen alle Fächer benannt werden, bei denen gekürzt werden darf. Interessant ist: Der Kürzungsbedarf ist aufgrund der Aufstockung von Deutsch und Mathe größer, als viele denken. Auch in der 1. und 2. Klasse muss je eine Stunde gekürzt werden, dort gibt es aber gar kein Englisch. In der 4. Klasse müssen sogar drei Stunden abgeknapst werden – nur die beiden Englisch-Stunden zu eliminieren, reicht nicht aus.

Trotz allem: Nein, einen Streit sehe er nicht, sagt FW-Chef Hubert Aiwanger. „Da kommt eine sinnvolle pragmatische Lösung.“

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