München – 1320 Unterschriften haben sie in Schliersee am Dienstagabend an den Bürgermeister übergeben. Das Ziel: ein Bürgerbegehren mit dem Titel „Schliersees Schönheit bewahren – kein Megahotel am See“. Es geht um den Neubau des Schlierseer Hofs, eines der größten Hotels am See. „Zu groß, zu dominant“ finden die Initiatoren die Pläne. Werden alle Regularien erfüllt, könnte es zum Bürgerentscheid kommen. Dann haben die Schlierseer das Sagen.
Gerade hat das Nein der Bürger zu zehn geplanten Windrädern in Mehring im Altöttinger Forst für Schlagzeilen gesorgt. Womöglich haben die Mehringer damit die Pläne der Staatsforsten, im Chemiedreieck Bayerns größten Windpark mit insgesamt 40 Windrädern zu bauen, ausgebremst.
In keinem Bundesland entscheiden Bürger so oft über Sachthemen wie in Bayern. Von 138 Bürgerentscheiden im vergangenen Jahr in Deutschland entfielen 76 auf Bayern. Das hat der Verein „Mehr Demokratie Bayern“ vor wenigen Tagen mitgeteilt. „Damit ist der Freistaat wiederholt ungeschlagener Spitzenreiter in Sachen direkter Demokratie“, heißt es.
Woran liegt das? Jan Renner von „Mehr Demokratie“ erklärt, dass die Bayern sich das Instrument Bürgerentscheid selbst geschenkt haben – mit einem Volksentscheid im Jahr 1995. Seither kann in Bayern über jeden Gemeinderatsbeschluss abgestimmt werden. Anders als in anderen Bundesländern können die Bürger ein Projekt auch dann noch zur Abstimmung bringen, wenn die Bauleitplanung schon läuft. Erst wenn tatsächlich gebaut wird oder Verträge mit Baufirmen festgezurrt sind, ist es zu spät für einen Bürgerentscheid.
Bei den meisten Abstimmungen in Bayern geht es um Bauprojekte wie Supermärkte und Industriegebiete – diese Themen machen mehr als jeden dritten Bürgerentscheid aus (36 Prozent). Häufig geht es auch um Sozial- und Bildungseinrichtungen (16 %) und Infrastruktur (10 %).
Nach einem Paukenschlag wie in Mehring entsteht der Eindruck, dass Bürgerentscheide Großprojekte stets torpedieren – so ist es nicht. Erst im Herbst hatten die Straßkirchner in Niederbayern für den Bau eines großen BMW-Batteriewerks gestimmt. Und auch die Zahlen, die „Mehr Demokratie“ erhebt, zeigen ein anderes Bild: 35 der insgesamt 76 Bürgerentscheide waren erfolgreich im Sinne des Begehrens, 36 waren nicht erfolgreich. Fünf scheiterten an den Vorgaben. Und: „Zu Klima-Begehren“, sagt Renner, „sehen wir den Trend, dass seit 2018/19 eher pro Klima abgestimmt wird, die direkte Demokratie in Bayern also tendenziell Motor für Klimaschutz ist.“
Klimaschutz ist das eine –wenn in der Nachbarschaft ein Windrad gebaut werden soll, geht es oft in die andere Richtung. In Grafing (Kreis Ebersberg) steht ein Bürgerentscheid an, dort soll ein Windrad gebaut werden, nur 800 Meter vom nächsten Haus entfernt. Bürgermeister Christian Bauer (CSU) hat die Entwicklung in Mehring aufmerksam verfolgt: „Das ist eine andere Dimension.“ Aber: Er fürchtet die direkte Demokratie nicht. Im Gegenteil. „Wir haben einen Grundsatzbeschluss gefasst, dass wir die Bürger beteiligen wollen.“ Stimmen sie für das Windrad, untermauert das die politische Entscheidung. Und am Ende sind alle zufrieden.