Häftling kratzt sich durch Gefängniswand

von Redaktion

Bad Reichenhall – Diese Geschichte erinnert an den Hollywood-Streifen „Die Verurteilten“ von 1994: Am 16. Februar vorigen Jahres war der 28-jährige Christian B. (Name geändert) in das Gefängnis von Bad Reichenhall eingeliefert worden. Er war kurz zuvor mit zwei Komplizen nach dem Diebstahl von Grabkreuzen und Grablaternen aus Friedhöfen, Kirchen und Geschäften im Raum Traunstein in 35 Fällen verhaftet worden. Zudem wurden bei der Festnahme auf seinem Mobiltelefon Dateien mit kinderpornografischen Inhalten gefunden. Jetzt bestätigt das Justizministerium einen Bericht der „Passauer Neuen Presse“, wonach der Häftling in der Nacht auf den 17. Dezember auf spektakuläre Weise aus dem Gefängnis geflohen war.

In jener Nacht hatte Christian B. während seiner Untersuchungshaft in seiner Zelle, die an der Außenwand des 70 Jahre alten Gefängnisbaus lag, mit Messer, Gabel, Löffel und abgebrochenen Klopapierrollenhaltern den Putz aus der Wand gekratzt – bis es ihm gelang, Ziegelsteine aus der Wand im ersten Obergeschoss zu nehmen. Er muss dabei sehr sorgfältig vorgegangen sein, damit der Putz außen nicht herabfiel. Als er seinen Fluchtplan vollendete, drückte Christian B. das Loch nachts ein, quetschte sich durch die schmale Lücke und seilte sich mit einem Bettlaken die sechs Meter bis zum Boden ab. Hier befindet sich kein weiterer Zaun, er konnte ungestört in die Freiheit flüchten.

Über diese konnte sich Christian B. aber nicht sehr lange freuen: Schon am nächsten Tag wurde er bei Traunstein wieder verhaftet. Das Loch in der Wand wurde sofort wieder zugemauert und verputzt. Ein heller Fleck erinnert noch an die Flucht. Doch es wurden auch weitere Maßnahmen getroffen, damit niemand diesem Beispiel folgt: „Die Abläufe und Sicherungsmaßnahmen zur zusätzlichen Absicherung der JVA Bad Reichenhall wurden nach dem Vorfall mit Hochdruck geprüft und grundlegend überarbeitet“, erläutert die Sprecherin des Justizministeriums Andrea Leonhardt. „Es wird kein Gefangener mehr in Hafträumen an der Außenmauer untergebracht.“

Christan B. kam in die JVA in München-Stadelheim. Hier dürfte er sich angesichts eines Betonwalls rund um den Knast nicht mehr durch die Wand kratzen können. Außerdem muss er mit Zellenarrest rechnen. Und es wurde ein Ermittlungsverfahren wegen gemeinschädlicher Sachbeschädigung eingeleitet. „Die Flucht ist durch das Strafgesetzbuch nicht unter Strafe gestellt“, sagt Leonhardt. Sie betont auch, dass Ausbrüche aus umfriedeten Gefängnissen im bayerischen Justizvollzug die absolute Ausnahme seien. Im Bad Reichenhaller Gefängnis habe es zuvor 20 Jahre lang keinen Ausbruch gegeben – nicht einmal einen Versuch. VON JOHANNES WELTE

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