Rhön/Freising/Neubeuern – Unter den Viehhaltern in der Rhön wächst der Frust. Immer wieder schlagen zwei Wölfe nachts in dem bayerisch-hessischen Grenzgebiet zu. Bei Schäfer Julian Schulz haben sie kürzlich zwei Ziegen und zwei Schafe gerissen. Vier Schafe sind verschollen. Schulz sagt, er befolgt alle Herdenschutz-Empfehlungen der Behörde – sein Weidezaun ist mit 1,10 Metern sogar 20 Zentimeter höher als vorgeschrieben. „Das bringt alles nichts“, sagt er. „Die sind einfach drübergesprungen.“
Das Problem: Die Wölfe werden immer schlauer. Martin Bartl leitet den Landesverband Bayerischer Schafhalter und hält bei Freising 120 Mutterschafe. „Die Wölfe lernen voneinander, wie sie die Schutzzäune überwinden können“, sagt auch er. Ein Rüde habe vor einiger Zeit den Herdenschutz in seinem Landkreis überwunden. Dann zog das Tier weiter Richtung Norden. Seine Nachkommen hätten sein Verhalten aber übernommen, sagt Bartl. „Sie sind zu einem Problemrudel geworden.“
Lange haben Schutzzäune den Wolf ferngehalten. Nun ändert sich das. Bartl ist dafür, Wölfe, die den Herdenschutz überwinden, zu entnehmen – also zu fangen und zu töten. „Einmal gelernt, ist immer gelernt“, sagt er. Selbst der Bund Naturschutz ist der gleichen Meinung. Der Schutz der Weidetiere stehe an oberster Stelle. „Ein Wolf, der gelernt hat zu springen, muss gezielt geschossen werden“, sagt die Herdenschutz-Beauftragte Stefanie Morbach. „Aber bei gutem Herdenschutz lernt der Wolf das nicht.“ Teils seien die Zäune schlecht oder nicht elektrifiziert. Manche hätten auch Lücken, sagt sie.
Christian Mendel hat für den Schutz seiner Herde in Neubeuern im Kreis Rosenheim Lösungen gefunden. Der 64-Jährige züchtet seltene Steinschafe und alpine Bergschafe. Er kennt die Angst vor dem Wolf. „Ich habe meine Weiden vor einem Jahr mit einem festen Zaun, Untergrabenschutz und Übersprungschutz wolfsicher gemacht“, sagt er. „Jetzt bin ich sehr viel entspannter.“
Mendel leitet die Arbeitsgruppe Schafzucht im bayerischen Landwirtschaftsministerium. „Wir müssen alles versuchen, dass der Wolf nicht lernt, den Herdenschutz zu überwinden“, sagt er. Der Freistaat unterstützt die Landwirte, die ihren Herdenschutz aufrüsten. Der Schutzzaun für Mendels vier Hektar große Weideflächen kostet knapp 36 000 Euro. Davon musste er etwa 5000 Euro selbst bezahlen. Er sagt: „Der Freistaat investiert massiv in den Herdenschutz.“
Der Wolf erhitzt auch in der Politik die Gemüter. Umweltministerin Steffi Lemke (Grüne) will den Abschuss von „Problemwölfen“ erleichtern. Die Abschussgenehmigung soll in Regionen mit erhöhten Rissvorkommen schneller vorliegen. Dafür sei es dann nicht mehr wie bisher nötig, die Ergebnisse eines DNA-Tests, der den Wolf identifiziert, abzuwarten. In Bayern gilt seit Anfang Mai eine Wolfsverordnung, die den Abschuss der Tiere nach dem ersten Riss eines Weidetiers ermöglichen soll.
Bei Umweltorganisationen und Tierschützern ist die Wolfsverordnung höchst umstritten. In der unterfränkischen Rhön, wo Schäfer Julian Schulz um seine Herde bangt, wurde der Abschuss der Wölfe im November vom Verwaltungsgericht Würzburg vorerst gestoppt. Die Regierung von Unterfranken hatte eigentlich zwei Wölfe zum Abschuss freigegeben. Aber zwei Natur- und Umweltschutzverbände hatten mit einem Eilantrag erfolgreich dagegen geklagt. Die Abschussgenehmigung ermuntere Weidetierhalter, auf Herdenschutzmaßnahmen zu verzichten, argumentiert der hessische Bund für Umwelt und Naturschutz.