Erding – Ein Staubsturm in den Vereinigten Arabischen Emiraten war schuld, dass der Flug EK 52 von München nach Dubai am 14. August 2022 mit einem Tag Verspätung startete. Ein Passagier klagte – und der Fall landete als einer von Tausenden beim Amtsgericht Erding. Das ist nämlich zuständig für alle Klagen, die den Flughafen München betreffen. Und das wird zur Belastungsprobe für die Justiz: Streitigkeiten ums Reisen machen in Erding inzwischen 94 Prozent aller neuen Verfahren aus. In Zahlen: 11 000 Klagen im vergangenen Jahr. „Daneben haben das Gericht nur rund 700 andere Zivilsachen erreicht“, teilt der Deutsche Richterbund am Montag mit.
Am Amtsgericht Erding gibt es 22 Richter, 17 davon kümmern sich vor allem um Klagen von Flugreisenden. So auch Richter Markus Nikol. „Die Zahlen sind wahnsinnig gestiegen“, bestätigt er. Nach der „Corona-Pause“ sei ein Stand erreicht, der sogar die Eingänge im Jahr 2019 übertreffe – damals waren es 8800 Zivilverfahren. An den Standorten der anderen großen Flughäfen in Deutschland ist die Lage ähnlich, bundesweit gab es 2023 insgesamt 125 000 Klagen und damit so viele wie nie.
Woran liegt’s? Der Richterbund sieht Portale, mit denen Fluggäste ihre Ansprüche schnell und einfach durchsetzen können, als einen wesentlichen Grund für die Entwicklung bei den Gerichten. Auch Markus Nikol aus Erding bestätigt, dass die meisten Klagen von Rechtsdienstleistern eingereicht werden. Dazu kommen steigende Fluggastzahlen und verschiedene Probleme, die vermehrt zu Verspätungen führen – etwa Personalmangel bei der Gepäckabfertigung.
Marktführer ist Flightright mit Sitz in Berlin. Wendet sich ein Passagier an Flightright, erhebt das Unternehmen Klage. Dafür fallen Gerichtskosten und Anwaltsgebühren an. Dem Kläger selbst entstehen keine Kosten – ist die Klage erfolgreich, zieht Flightright eine Erfolgsprovision ab. Nach EU-Recht stehen Passagieren laut Flightright Entschädigungen zwischen 250 und 600 Euro zu, wenn sie mehr als drei Stunden später an ihr Ziel kommen oder ihr Flug weniger als 14 Tage vor Abflug gestrichen wurde. Diese Ansprüche können rückwirkend drei Jahre geltend gemacht werden. „Würden sich die Fluggesellschaften bei den berechtigten Entschädigungszahlungen kooperativer zeigen, könnten tausende Klagen vermieden werden und auch die Gerichte würden deutlich entlastet werden“, heißt es von Flightright. Am Amtsgericht Erding käme erschwerend hinzu, dass das sehr kleine Amtsgericht für den zweitgrößten Flughafen Deutschlands zuständig sei. „Wenn dann noch eine Airline wie die Lufthansa dazu- kommt, die eher den Klageweg als eine außergerichtliche Einigung sucht, dann kommt es zu solch hohen Klagezahlen“, kritisiert Flightright. Das Unternehmen bevorzuge aus eigenem wirtschaftlichen Interesse außergerichtliche Verfahren.
Das würden auch die Richter am Amtsgericht Erding begrüßen. „Unsere Belastungsgrenze ist absolut erreicht“, sagt Markus Nikol. Gemessen an der hohen Zahl der Klagen fehlen in Erding mindestens zehn Richterstellen. CARINA ZIMNIOK