München – Vor 69 Jahren hat Hedwig Maria Stuber ein Buch herausgebracht: „Ich helf dir kochen“. Es ist bis heute der Helfer für alle, die die Grundlagen des Kochens lernen wollen. Oder die Klassiker der deutschen Küche, aber auch internationale Leibspeisen zubereiten wollen. Oder die lernen möchten, wie man Fleisch richtig behandelt und zerlegt oder eine ordentliche Brühe macht. Das Kochbuch wurde in 52 überarbeiteten Auflagen fast vier Millionen Mal verkauft. Für einige Familien ist es seit Generationen das Universalkochbuch im Haus.
Der Name Hedwig Maria Stuber ist ein Pseudonym. Die Frau dahinter wird am heutigen Samstag 100 Jahre alt. Die Münchnerin mit fränkischen Wurzeln lebt in einem Vier-Generationen-Haus in Freimann – mit ihrer Tochter Angela Ingianni (75) und deren Familie, inklusive Urenkeln im Alter von zwei bis elf Jahren. Inzwischen entwickelt ihre Tochter das Standardwerk laufend weiter, denn die Küchenkultur ist Moden unterworfen. War früher Toast Hawaii der Hit, ist er längst aus dem Kochbuch verschwunden. Dafür gibt es heute Guacamole oder asiatische Currys. Butter wird häufig durch Öle ersetzt. Die einzige Konstante durch die Jahrzehnte ist allein die Autorin, die von Maria Huber als Co-Autorin unterstützt wurde. Die Ehemänner der beiden Verfasserinnen haben selbst blv-Verlagsgeschichte geschrieben – der eine als Chef, der andere als Fachbuchautor in der Landwirtschaft.
Als der promovierte Landwirtschaftsingenieur mit seiner Hedwig einen Ausflug nach Innsbruck machte, entdeckten sie in einem Schaufenster ein Kochbuch. Sie war ganz hin und weg – leider aber war Sonntag, woraufhin ihr Mann sagte: „Musst halt selber eins schreiben.“ Der Anfang einer geradezu märchenhaften Erfolgsgeschichte. Als Landwirtstochter hatte Hedwig Maria Stuber eine breite Basis und einen ausgebildeten Geschmack. Sie absolvierte die Haushaltsschule und arbeitete als Sekretärin. Ihre Co-Autorin kam aus einem gepflegten großbürgerlichen Stadthaushalt – so haben sich die beiden ideal ergänzt. Vier Jahre arbeiteten sie an der ersten Ausgabe. Alle Rezepte probierten sie mehrfach aus, passten alles immer wieder an.
1955 ist das Universalkochbuch mit 346 Seiten erschienen und war innerhalb kürzester Zeit vergriffen, woraufhin der Verlag eine Überarbeitung und Erweiterung forderte. Die beiden Autorinnen waren erst furchtbar enttäuscht. „Ich dachte, es ist ein Kochbuch für die Ewigkeit“, sagt Hedwig Maria Stuber. Ist es. Doch weil nichts so beständig wie der Wandel ist, sicherte erst die regelmäßige Neubearbeitung den Erfolg: Waren in der Nachkriegszeit nahrhafte und deftige Sonntagsbraten der Renner, sind es heute Gemüse-Gerichte. Und als der Deutsche den Weg über den Brenner fand, waren auch die besten Rezepte aus dem Süden gefragt. Der Bucheinband dokumentiert über die Jahrzehnte den Wandel der Kochkultur: So stand in den 60er-Jahren plötzlich eine Pfeffermühle auf dem Tisch und der Balkan-Spieß lag auf dem Teller. Nur die Klassiker der deutschen Küche haben sich kaum verändert. Mit Schmorbraten oder Königsberger Klopsen kann man noch heute punkten. Angela Ingianni sagt: „Im Grunde ist bei uns alles drin: das Bürgerliche, das Regionale, das Internationale.“
Das gedruckte Kochbuch beweist sich auch erfolgreich gegen das Internet. „Was brauch ich 6000 Treffer für einen Marmorkuchen, wenn ich einfach in das Buch schauen kann und weiß, das wird was.“ Angela Ingianni hat ein großes Erbe angetreten. Eine Nachfolgerin für die 75-Jährige aber ist nicht in Sicht. „Das Kochbuch müsste jemand ganz anderes weiterführen“, sagt sie. Die letzte Neuauflage vor zwei Jahren hat sie allein gestemmt. Über ein Jahr dauerte es, die 2200 Rezepte zu überarbeiten oder zu ersetzen. Ihre Mutter Hedwig hat alles probiert und sich darüber gefreut, dass ihre Tochter in ihre Fußstapfen getreten ist. Wann die nächste Neuauflage ansteht, ist offen.
Hedwig Maria Stuber hat ihr Leben lang die Welt bereist – immer auf der Suche nach einem neuen Gericht. Ihr Gaumen konnte jede Zutat analysieren. „Ich bin nicht stolz“, sagt sie. „Aber zufrieden.“ ULRIKE SCHMIDT