Regensburg – Die Geschichte war wohl frei erfunden. Am 19. Januar behauptete eine 27-Jährige, am helllichten Tag im Fürst-Anselm-Park nahe dem Regensburger Hauptbahnhof vergewaltigt worden zu sein. Die Verdächtigen laut Fahndung: zwei Männer mit „arabischem Aussehen“. Mittlerweile ist die Staatsanwaltschaft überzeugt: Die Vergewaltigung hat nicht stattgefunden. Gegen die Frau wird ermittelt – wegen Vortäuschens einer Straftat.
Doch die Debatte über die Sicherheit im Bahnhofsviertel, die in Regensburg seit letztem Spätherbst schwelt, hat spätestens damit überregionale Dimensionen erreicht. Als „gefährlicher Ort“ gilt der Hauptbahnhof laut Polizei schon seit Jahren – so wie die Bahnhöfe in fast allen größeren Städten. Eine lange geplante Aufwertung des Areals hat die Stadt erst kürzlich aus Kostengründen verschoben. Auch eine versprochene bessere Beleuchtung lässt auf sich warten.
Bei einer Pressekonferenz räumten Politik und Justiz im Dezember ein: Die Kriminalität am Bahnhof ist 2023 deutlich gestiegen – auch im Vergleich zum Niveau der Vor-Corona-Jahre. Genaue Zahlen soll es im März geben. Verantwortlich dafür scheint eine vergleichsweise kleine Gruppe zu sein – sogenannte Mehrfachintensivtäter.
Bereits seit November gehen Staatsanwaltschaft und Kripo mit einer eigens eingerichteten Ermittlungsgruppe gegen diese Intensivtäter vor. Aktuell wird gegen 35 Personen ermittelt. 30 von ihnen sitzen bereits in Untersuchungshaft. Sie könnten für über 150 Straftaten verantwortlich sein.
Auffällig: 31 der 35 Tatverdächtigen stammen laut Staatsanwaltschaft aus Tunesien. Zur Einordnung: Insgesamt leben rund 300 Tunesier im Anker-Zentrum Regensburg, weil der Regierungsbezirk Oberpfalz für dieses Herkunftsland zuständig ist. Laut Staatsanwaltschaft geht es vor allem um gewerbsmäßige Diebstähle, auch in zwei Einkaufszentren, sowie um „mittlere Körperverletzungen“. Auch der Anstieg bei den Raubdelikten soll auf das Konto dieser Intensivtäter gehen. Ebenso ein Sexualdelikt an einer 29-Jährigen in einer Nacht Ende Januar bei einem Platz in Bahnhofsnähe. Hier soll es auch um Drogen gegangen sein. Zwei tatverdächtige Tunesier wurden verhaftet.
Am 30. Januar, damals noch unter dem Eindruck, dass es neben dieser Tat auch noch die Vergewaltigung am helllichten Tag gegeben habe (die sich später als erfunden herausstellte), schrieb Hans Lindner, Rektor der nahe gelegenen Marien-Schulen, einen Elternbrief. Er weise „aus gegebenem Anlass“ darauf hin, dass der Hauptbahnhof und die Fürst-Anselm-Allee als Kriminalitätsschwerpunkt gelten. Schülerinnen sollten die Gegend bei Dunkelheit meiden und generell dort nur in Gruppen unterwegs sein, heißt es in unaufgeregtem Ton. „Rein präventiv“ sei dieser Brief gewesen, sagt Lindner heute. Und dass noch nie etwas passiert sei und es solche Präventionsmaßnahmen schon 17 Jahre gebe – seit er Schulleiter sei.
Lindner ärgert sich, dass Rechtsextreme, allen voran die AfD, den Brief instrumentalisiert und sogar zum Thema eines Dringlichkeitsantrags im Landtag gemacht haben. Dort sprach AfD-Fraktionschefin Kathrin Ebner-Steiner am Mittwoch davon, dass zwei Tunesier in Regensburg am helllichten Tag eine Frau in einem Park vergewaltigt hätten. Dass es diese Tat nicht gab, war da bereits seit Tagen bekannt. STEFAN AIGNER