München – An ihrem 107. Geburtstag war Charlotte Voigt zu Scherzen aufgelegt. „Zu meinem nächsten Geburtstag muss mir Markus Söder gratulieren“, hat sie voriges Jahr mit ihren Mitbewohnern im Seniorenzentrum Marie-Anne-Clauss im Münchner Süden gescherzt. Einigen Mitarbeitern ist der Jux nicht entgangen. Und tatsächlich: Gestern, ein Jahr später, hat sich Voigts Wunsch erfüllt.
Mit ihrer Tochter Kristina Baer sitzt das „Jubelkind“ in der Kantine. Voigt hat Perlen angelegt und ein schimmerndes Twinset in Rosé gewählt. Den Ministerpräsidenten trifft man ja nicht jeden Tag – so, wie man eben auch nicht jeden Tag 108 Jahre alt wird. Um sie herum sitzen sechs ihrer liebsten Mitbewohnerinnen. Sie wollen mit „Lotte“ feiern – und sich das Spektakel nicht engehen lassen.
Durch das große Panoramafenster fällt die Sonne in die Kantine. Zwei schwarze Autos fahren vor. Die Bewohner recken die Köpfe. Ein Kavalier mit Blumenstrauß, steigt aus. Er kommt, um Voigt zu gratulieren. Als Ministerpräsident Markus Söder den Raum betritt, können Leiterin Daniela Viertel und Belegungsmanagerin Tina Altmann kaum fassen, dass ihr Plan aufgegangen ist. Als Söder der ältesten Bewohnerin ihrer Einrichtung aber am frühen Morgen die Hand entgegenstreckt und das Geburtstagslied „Wie schön, dass du geboren bist“ anstimmt, wird alles ganz real.
Lotte Voigt ist großer Schlagerfan und würde jetzt gern tanzen – säße sie nicht im Rollstuhl. „Das hat sie immer gern gemacht“, erzählt Baer. „Mir geht’s gut“, sagt Voigt und lacht. Mit 108 sind ihre Augen zwar nicht mehr so scharf, aber sie strahlt, als ihr der Ehrengast auch ein „Fläschle“ Sekt kredenzt.
„Ich bin 51 Jahre jünger als Sie“, sagt Söder. „Wie wird man 108 Jahre alt?“ Da weiß Voigt erst gar nicht, was sie sagen soll. Auch mit dem Hören ist es in diesem Alter eben nicht mehr ganz so einfach. Dann sagt Voigt aber: „Ich weiß gar nicht, wie ich es geschafft habe. Viel arbeiten hilft, und gar nicht viel d’rüber nachdenken, wie es einem geht.“ Den Ratschlag will sich Söder zu Herzen nehmen.
In 108 Jahren hat Voigt viel und hart gearbeitet. Mitten im Ersten Weltkrieg – am Valentinstag 1916 – kommt sie als jüngstes von sieben Kindern im Vogtland zur Welt. Ihre Eltern halten Hühner, Schweine und eine Ziege, also hilft sie schon als Mädchen beim Schlachten. Sie überlebt auch den Zweiten Weltkrieg. Mit ihrem Ehemann Erich zieht sie vier Töchter auf und flieht aus der DDR. Edith ist heute 90, Hannelore 83 und Kristina 76. Nur Ursula ist mit 65 Jahren gestorben. 52 Jahre lebt Voigt schon ohne ihren Erich. Er starb 1972 mit 59 an Lungenkrebs. „Das ist das Leben“, sagt sie. Dafür durfte sie aber erleben, wie ihre 13 Urenkel zu Erwachsenen wurden und ihre fünf Ururenkel im Arm halten.
Lotte Voigt ist ja eigentlich Spätaufsteherin. Als sie den Ministerpräsidenten verabschiedet hat und das Fest in der Kantine vorüber ist, legt sie sich erst mal zum Mittagsschlaf aufs Zimmer. Umringt von ihrer Familie – und den Fotos an der Wand, die von ihrem langen Leben erzählen.