Obernzell – Er erinnert sich bis ins letzte Detail, wie er im Jahr 1970 beim Schafkopfturnier die acht Karten anschaute. Wie ihn der Schelln-Unter mit dem rechten Auge anblinzelte, der Eichel-Ober auch. Der höchste und der niedrigste der acht Buam beim Schafkopfen. Und weil Manfred Hilse schon die sechs anderen Ober und Unter hielt, kündigte er an: „Ein Sie“ – das höchste denkbare Blatt, das man beim Schafkopfen erreichen kann. Entsprechend selten – mit einer Wahrscheinlichkeit von eins zu 10,5 Millionen.
„Das war aufregend“, erinnert sich der heute 92-Jährige in seinem Haus in Obernzell im Kreis Passau. Damals hat ihm das zwar nicht den Sieg beim Turnier eingebracht, aber eine Stereo-Anlage. Und dazu ein Autogramm von Uschi Glas, die sich auf der Rückseite des Sie-Bildes verewigt hat.
Einen „Sie“ zu bekommen, das dürfte ein großartiges Gefühl sein. Unzählige Schafkopfrunden wissen nur von jemandem, der beinahe einen hatte. Es fehlte immer der eine Trumpf, der die Acht vollmacht. Manfred Hilse aber hat in seinem Leben nicht nur einen bekommen, sondern gleich drei. Das ist verbürgt, dank jener Sie-Pflichtmitteilungen, die in Gestalt der Ober und Unter und hinter Glas die Wirtshaus-Wände schmücken.
Die Wahrscheinlichkeit für einen „Sie“ hat Christian Hanel, der Fachgruppenleiter für Mathematik im Bayerischen Philologenverband, berechnet: Sie liegt exakt bei eins zu 10 518 300. Fast so unwahrscheinlich wie ein Sechser im Lotto (eins zu 13 983 816). Die Wahrscheinlichkeit, dreimal direkt hintereinander einen „Sie“ zu bekommen, ist utopisch: 8,59366 mal zehn hoch minus 22, das ist eine Eins mit 22 Nullern im Nenner. „Die Wahrscheinlichkeit gilt aber auch für den Fall, dies dreimal im Leben zu erhalten, da die Kartenverteilungen in den anderen Spielen überhaupt nicht von Belang sind und ignoriert werden können“, erklärt Christian Hanel.
Manfred Hilse hat also etwas erlebt, das es gar nicht geben dürfte – es war, als hätte er dreimal einen Sechser im Lotto gehabt. Vielleicht sind seine Sie aber auch eine Belohnung für ein fleißiges Leben. Heimatvertrieben lernte er den Beruf des Schreiners, arbeitete als Zimmerer, Treppenbauer, bei BMW in München, bei Zündapp, zuletzt bei MTU. Er baute sich in München ein Haus. Er ist Vater von vier Töchtern und hat inzwischen vier Enkel und sechs Urenkel.
Obwohl er sein Leben lang viel gearbeitet hat, konnte er das Karteln nie lassen. Dabei gewann er rund 30 Turniere in München und Umland – mit entsprechenden Preisen: Dampfbügeleisen, mal eine halbe Sau. Doch auch Geld, 1000 Mark etwa beim Turnier des SV Haimhausen, wo er seinen zweiten Sie schaffte. Vor wenigen Wochen hat er sein letztes Turnier gespielt, das Preisschafkopfen des FC Obernzell-Erlau. Den Hauptgewinn sicherte sich ein anderer, aber Manfred Hilse griff auch etwas ab: „Ein Maurerpaket, mit Wasserwaage und Maurerhammer“, erzählt er.
Seit seine Frau Isabella starb, lebt Hilse allein. Ihr Tod war ein schwerer Schlag, sie waren seit 1957 verheiratet gewesen. Doch seine Töchter besuchen Manfred Hilse abwechselnd und kümmern sich um ihn. Seine Erfolge beim Schafkopfen führt er übrigens auf pures Glück zurück. „Aber mein größtes Glück im Leben, das war meine Isabella“, sagt er. MARKUS CHRISTANDL