Meine Mutter war die Königin der Alleingänge. „Lass nur, ich mach das schon!“, war einer ihrer Standardsätze. Der hatte durchaus seine guten Seiten. Zum einen war sie meist grandios in dem, was sie tat. Beruflich, im Einsatz für Mann und Tochter, im Haushalt. Mir hat sie regelmäßig auf diese Weise Arbeiten erspart, die mich vom Lernen abgehalten hätten. Viel helfen musste ich daheim folglich nicht, um ordentlich pauken zu können. Das wurde selbstverständlich erwartet.
Lass nur, ich mach schon – dieses selbstbewusste Motto hat Schattenseiten. Meine Mutter war manchmal erschöpft, weil sie sich regelmäßig zu viel zumutete. Insgeheim war sie doch ärgerlich, wenn sie spürte, dass es ihre Soloauftritte gar nicht gebraucht hätte – und sie einiges gut hätte delegieren oder mit anderen, mit Mann und Tochter hätte teilen können. Für sie wäre das Motto der evangelischen Kirche für die eben begonnene Fastenzeit ideal gewesen: „Komm rüber! Sieben Wochen ohne Alleingänge“. Eine wirklich gute Idee. Nicht allein für Mütter oder Väter. Auch Politiker und Politikerinnen, Wirtschaftsbosse jeden Geschlechts, Wissenschaftler, Journalistinnen, jede und jeder könnte davon profitieren, dass es noch andere Menschen außer einem selbst gibt. Solche, die mitdenken, zum Handeln bereit und empathisch sind. Die einen begleiten und unterstützen oder sich selbst darüber freuen, dass jemand mit ihnen auf dem Weg ist und sie nicht alles und jedes selber machen und alleine aushalten müssen.
Schon klar: Der Sprint quer über den Platz, eiskalt an jedem Gegner vorbei und am Schluss das furiose Tor, womöglich der Sieg – ein Traum. Es kann schön sein und einen stolz machen, wenn man alleine durchmarschiert und sich hinterher zufrieden auf die Schulter klopfen darf. Solche Alleingänge dürfen einen freuen. Genauso wie die Zeiten, in denen man ganz für sich bleibt, in Ruhe nachdenkt und sorgfältig die ureigensten Entscheidungen fällt.
Aber Alleingänge allein bringen nichts. Sie machen einsam und müde. Es ist aufregender, Gedanken und Ideen anderer kennenzulernen, sich von ihnen inspirieren zu lassen, fremde Lebensgeschichten erzählt zu bekommen. „Komm rüber“ – eine aufmerksame, wache, im besten Sinn neugierige Bitte. Das evangelische Motto der Fastenzeit ist ein intensiv reflektierter Wunsch, in dieser oft grausam bornierten Welt den Horizont zu weiten und dahinter den Himmel zu entdecken.