Frauenchiemsee – Geophysiker haben bei Bodenradarmessungen auf der Fraueninsel einen Grundriss entdeckt, von dem bisher niemand wusste. Die Bauentwicklung des wohl durch Herzog Tassilo III. um 782 gegründeten Klosters gilt zwar als gut erforscht. Doch über den Rest der Insel ist wenig bekannt. Das könnte sich durch diese Entdeckung nun ändern.
Im Bereich des Fundorts stand die zum Kloster gehörende Kirche St. Martin, die aus dem 14. Jahrhundert stammt. Sie befand sich auf dem höchsten Punkt der Insel und wurde 1803 im Zuge der Säkularisation abgerissen, berichtet Armin Krämmer, der Bürgermeister von Chiemsee. „Doch dass es einen älteren Vorgängerbau gab, ist auch für uns eine große Überraschung.“
Um den Standort der abgerissenen Saalkirche zu lokalisieren, fanden im Sommer Untersuchungen statt. In einer Tiefe von 50 bis 70 Zentimetern fanden die Denkmalpfleger Fundamente, deren Grundriss mit der Ansicht der Kirche auf einem Stich von 1701 korrespondiert. Die Radardaten zeigten aber auch, dass es an dieser Stelle noch einen älteren Bau gegeben hatte: Noch etwas tiefer zeichneten sich völlig überraschend weitere Grundmauern ab. Das Bauwerk hatte einen Durchmesser von stattlichen 19 Metern. „Zentralbauten sind in der vorromanischen und romanischen Sakralarchitektur nördlich der Alpen selten und damit eine sehr individuell gestaltete Bauform“, erklärt Bayerns Generalkonservator Mathias Pfeil. Es seien aber wenige achteckige Zentralbauten mit innerem Säulenumgang in Bayern bekannt. „Wir sprechen hier von einer absoluten Seltenheit.“
Möglicherweise gibt es einen Zusammenhang mit der Verehrung der Seligen Irmengard, Tochter König Ludwigs des Deutschen und Urenkelin Karls des Großen. Sie war Äbtissin des Konvents Frauenwörth und wurde 866 in der Abteikirche bestattet. 1001 fand zur Förderung ihrer Verehrung eine Öffnung ihres Grabes statt. Zeitgleich wurde der Klosterneubau errichtet. Vielleicht entstand damals auch der zusätzliche Memorialbau. Die Wissenschaft muss nun die neuen Daten auswerten, um die vielen offenen Fragen zu klären.