„Fluchen gehört zu den Menschen“

von Redaktion

INTERVIEW Historiker Rolf-Bernhard Essig über die Entwicklung des Schimpfens

München – Aus „Potz Blitz“ wurde „Deine Mutter“. Die Art zu Fluchen hat sich in den vergangenen Jahrhunderten verändert. Der Historiker und Wortforscher Rolf-Bernhard Essig (60) aus Bamberg stellt diese Entwicklung ab heute im Museum für Kommunikation in Nürnberg aus. Im Gespräch erzählt der gebürtige Hamburger, warum Menschen fluchen und was bayerische Flüche ausmacht.

Herr Essig, was ist Ihr liebstes Schimpfwort?

Schubiak. Das kommt aus dem Plattdeutschen. Ein Schubiak ist ein Pfosten, an dem sich Tiere auf der Weide schubben. Also ein Vollpfosten, der nur dazu da ist, dass sich ein Ochse daran schubbert.

Seit wann fluchen Menschen?

Seit es die Sprache gibt. Das Fluchen gehört zu den Menschen dazu. Die ältesten Flüche sind über 4000 Jahre alt. Früher ging es noch darum, andere zu verfluchen und ihnen etwas Böses zu wünschen. Die ersten Flüche waren Schutzflüche, um zum Beispiel Schriften zu beschützen. Flüche wurden später auch in anderen Zusammenhängen verwendet.

Zum Beispiel?

Kraftausdrücke erregen uns. Die Bandbreite geht von Vernichtung bis zu Herzlichkeit. Man kann sie verwenden, um andere zu beleidigen und zu beschimpfen. Kraftausdrücke werden aber auch beim Sex verwendet, um den Erregungszustand zu erhöhen. Sie helfen uns auch dabei, Schmerzen besser zu ertragen. Flüche drücken aber auch aus, dass man sich freut. „Griasdi, du Saubazi“ drückt die Freude aus, jemanden wieder zu treffen. Kraftausdrücke können auch zur Motivation genutzt werden.

Wie hat sich das Fluchen entwickelt?

Im 16. Jahrhundert war der Höhepunkt der Fluchkultur. Damals wurden vor allem Krankheiten, Pest oder Krätze, an den Hals gewünscht. Auch religiöse Flüche waren beliebter. Heute sind wir zivilisierter mit unseren Flüchen. Manche Ausdrücke haben sich aber gehalten. Geschlechtsspezifische Flüche, dass Männer impotent sind oder Frauen viele Geschlechtspartner haben, gibt es schon seit dem antiken Rom.

Welche Arten zu Fluchen gibt es denn?

Körperausscheidungen sind beliebte Flüche, genauso wie Tiervergleiche, Verwandtenflüche oder religiöse Flüche. Dass wir Deutschen sehr fäkalfixiert sind, das ist übrigens nicht ganz richtig.

Wie fluchen die Bayern?

Im Oberbayerischen werden religiöse Flüche viel häufiger verwendet. Diese Ausdrücke liegen oft zwischen Stoßgebet und Fluch. Jessas, Maria und Josef zum Beispiel. Bayerische Flüche sind vielgliedrig. Da ist eine Lust am Überfluss da. Statt „Du Hund“ sagt man „Du Hund, du Damischer“. Das hat etwas sehr anschauliches.

Wer ist für Sie der Großmeister des Fluchens?

Gerhard Polt. Er nutzt Kraftausdrücke zur Unterhaltung. Auch er kommt in unserer Ausstellung vor. Er flucht einfach so kraftvoll und anschaulich. Dazu ist er stimmlich sehr kunstvoll.

Interview: Stefanie Fischhaber

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