Sophie Scholl als Wachsfigur

von Redaktion

VON DIRK WALTER

München/Berlin – Vor 81 Jahren starben die Mitglieder der „Weißen Rose“ Hans und Sophie Scholl (und mit ihnen Christoph Probst) unter dem Fallbeil der Nazis im Gefängnis München-Stadelheim. Besonders Sophie Scholl ist längst eine Ikone – es gibt Dutzende Bücher und auch ein Instagram-Projekt über sie. Doch diese Art von Geschichtsdarstellung ist neu: Gestern wurde Sophie Scholl in Originalgröße im Wachsfigurenkabinett von Madame Tussauds in Berlin aufgestellt – dort, wo 120 Wachsfiguren auf Touristen warten, darunter auch Manuel Neuer, Angela Merkel und Rihanna.

Ein Mordopfer als Ausstellungsstück? Madame Taussauds rühmt die neue Attraktion als Möglichkeit für Schülerinnen und Schüler, „Geschichte hautnah zu erleben“. Geschichte solle nicht nur eine Angelegenheit für Schulbücher sein, sondern könne auch „aktiv“ erlebt werden.

Offenbar war dem Unternehmen, das zu einem Entertainment-Konzern gehört, der auch Feriendörfer und das Sea Life betreibt, aber etwas mulmig. Denn sie haben sich bei zwei Einrichtungen rückversichert. Die Bundeszentrale für politische Bildung lobt die Sophie Scholl in Wachs laut Pressetext als „Bildungsangebot“ und als begrüßenswerten niedrigschwelligen Zugang zur NS-Geschichte. Auch Hildegard Kronawitter, Ehefrau des verstorbenen Münchner Oberbürgermeisters Georg Kronawitter und Vorsitzende der Weiße-Rose-Stiftung in München, gab ihre Zustimmung. „Ich hoffe, dass viele junge Menschen Sophies Abbildung sehen und sich von der Frage herausfordern lassen: Was hätte ich getan?“

Ganz anderer Meinung ist der Historiker Wolfgang Benz, früher Leiter des Berliner Zentrums für Antisemitismusforschung und zuletzt Biograf des NS-Widerstandskämpfers Georg Elser: „Wenn das ein Bildungsangebot sein soll, habe ich meinen Beruf verfehlt“, sagt er unserer Zeitung. Er hält die Darstellung für „makaber“ und „Verkitschung“. Es sei mehr als grenzwertig. Überhaupt hat Benz von der Wachsfiguren-Galerie keine hohe Meinung. Die Idee stamme aus dem 19. Jahrhundert, als man Prominente noch nicht durch Fotos und Tiktok-Videos verewigen konnte. Das heutige Madam Tussauds sei etwas „für gelangweilte Touristen“. Der Eintritt ist im Übrigen nicht ganz billig. Eine Schüler-Eintrittskarte kostet 15 Euro, Erwachsene zahlen mindestens 25,50 Euro.

Wer eine traditionelle Darstellung der „Weiße Rose“-Geschichte bevorzugt, der könnte auch in die Dauerausstellung zur „Weißen Rose“ in den Münchner Justizpalast gehen. Dort, im heutigen Saal 253, fand im April 1943 ein zweiter Schauprozess gegen 14 Mitglieder der Widerstandsgruppe statt. Alexander Schmorell, Willi Graf und Kurt Huber erhielten die Todesstrafe. Der Eintritt zur Dauerausstellung, die im vergangenen Jahr zum 80. Todestag eröffnet wurde, ist kostenlos.

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