München/Berlin – Ausgerechnet Berlin-Kreuzberg: Hier steht das Haus, in dem die gesuchte frühere RAF-Terroristin Daniela Klette (65) viele Jahre wohnte und am Montagabend von der Polizei gefasst wurde. Es ist ein unauffälliges dunkles Mietshaus aus der Nachkriegszeit in der abseits liegenden Sebastianstraße, keiner der in der Szene so beliebten Altbauten. Aber trotzdem nah an den legendären Orten des linksalternativen Bezirks: Oranienstraße, Kottbusser Tor, Mariannenplatz. Am Dienstag und Mittwoch untersuchte die Polizei die Wohnung, immer wieder trugen vermummte Polizisten in Zivil, zum Teil mit BKA-Jacken, große Kartons rein und raus. Und die Polizei fahndet nach den beiden flüchtigen Terroristen Ernst-Volker Staub und Burkhard Garwig. Am Mittwoch wird in Berlin ein Mann festgenommen – und kurz darauf wieder freigelassen. Er ist es nicht.
Klette ist derweil in die JVA Vechta in Niedersachsen gebracht worden, wo sie jetzt wegen eines Sprengstoffanschlags 1993 und wegen Überfällen auf Geldtransporter und Banken auf ihren Prozess warten dürfte.
Dass Klette ausgerechnet im Berliner Kiez-Milieu so lange unerkannt unter dem falschen Namen „Claudia Ivone“ und mit einem italienischen Pass leben, arbeiten und in deutsch-brasilianischen Tanzgruppen aktiv sein konnte, mutet wie ein Klischee an. Klettes auch gestern noch abrufbares Facebook-Profil führt zu linken Initiativen: Rosa-Luxemburg-Stiftung, Bündnis gegen Rassismus, Reach Out, Integration aktiv, Werkstatt der Kulturen. Sympathiebekundungen kommen nach ihrem Auffliegen auch aus der Szene. Das Bündnis „Revolutionärer 1. Mai“ teilt einen Post mit einem weinenden Smiley. Das linke Hamburger Zentrum Rote Flora grüßt mit einem großen Banner.
Großen Raum nimmt auf Klettes Profil die afrobrasilianische Kultur- und Tanzszene ein. Ankündigungen zahlreicher Festivals und Workshops von 2013 bis 2019 sind zu sehen, ebenso vier Urlaubsfotos, nach den Aufschriften auf den T-Shirts offenbar von einem Tanzfest in Brasilien. Ein Bild zeigt 2019 eine weißhaarige Frau in einer gut gelaunten Capoeira-Gruppe (Kampf- und Tanzsportart). Nachbarn schildern „Claudia“ als freundliche, grauhaarige Frau Mitte 60 mit einem langen Zopf. Sie soll Schülern privaten Nachhilfeunterricht in Mathematik gegeben und ihm zu Weihnachten Kekse geschenkt haben, erzählt einer. Eine Jugendliche berichtet, sie hätten sich immer freundlich gegrüßt, nur der große Hund der Nachbarin habe ihr Angst eingejagt.
Der Podcast „Legion“ der Sender NDR und RBB fand bereits im Dezember 2023 bei der Suche nach Daniela Klette eine Frau in Tanzgruppen in Berlin. Ein junger Mann berichtete, eine Frau aus der linken Internet-Gruppe „Anonymous“ habe 2017 bei einer Feier ihre Zugehörigkeit zur RAF gestanden. Ein Spezialist suchte daraufhin mithilfe spezieller Programme und alter Fotos von Klette – und stieß auf die Tanzgruppen in Berlin. Doch beim Capoeiraverein wurde die Frau zuletzt 2019 gesehen. Die Podcaster vermuten, damals sei Klette beim Posten von Fotos vielleicht nicht klar gewesen, welche Internet-Suchmöglichkeiten heute bestehen. ANDREAS LANDWEHR