München – Ursula Hoffmann atmet tief durch. Konzentriert greift sie das Gewehr, die Blaser R8 liegt schwer in ihren Händen. Die 54-Jährige zielt auf die Rehbockscheibe. Sie atmet noch einmal tief durch – und schießt. Ein lauter Knall ertönt. Sie holt die hundert Meter entfernte Scheibe an den Schießstand und sucht das Einschussloch. Hoffmann hat ihn am Hals erwischt. In der Prüfung muss sie den Rehbock im Brustbereich treffen.
Die Ebersbergerin ist nicht nur seit Kurzem Sprecherin beim Jagdverband, sondern auch unter den 30 Kursteilnehmern, die derzeit bei Wolf Thalhammer eine Jagdausbildung machen. Er ist Kursleiter beim Kreisverband München Land des Bayerischen Jagdverbandes. Der Kurs startet jährlich im September, im Mai findet die Prüfung statt. Obwohl die Kurse neun Monate dauern und rund 2000 Euro kosten, werden sie immer beliebter. „Jagen liegt im Trend“, sagt Thalhammer. Laut dem Deutschen Jagdverband ist die Zahl der Jäger seit 1993 um 36 Prozent gestiegen. In Bayern gibt es über 75 000 Jagdscheinbesitzer. „Die Jagd wird immer weiblicher und jünger“, stellt der 42-Jährige fest. Ein Viertel seiner Kursteilnehmer sind Frauen.
Die Gründe für die Jagdausbildung sind vielfältig. Zum einen sei das Interesse für Natur und Artenschutz gewachsen. „Viele kommen wegen eines bewussten Umgangs mit Fleisch“, erklärt Thalhammer. Andere hätten einfach Lust auf Wildnis und Natur. Viele Teilnehmer kommen, weil sie einen Jagdhund besitzen – besonders Frauen. Zum Beispiel Hoffmann. Die Jagd hat sie schon immer fasziniert. „Ich wollte das lernen und leben, was mich wirklich interessiert. Und mein Labrador freut sich, dass er jetzt jagdlich arbeiten darf.“
Die Truppe am Schießstand ist bunt: Unter den Teilnehmern sind Landwirte, Studenten, Rentner und Schüler. „Ungefähr 80 Prozent unserer Teilnehmer haben keinen jagdlichen Hintergrund“, erklärt Thalhammer. Zum Beispiel Dario Neumann. Der 25-Jährige studiert Jura und kam über ein Praktikum bei einem Revierjäger zur Ausbildung. Eine Teilnehmerin sticht heraus: Maya Laux West ist Veganerin. Auch sie kam über ihren Jagdhund zur Ausbildung. Auf die Jagd zu gehen kann sie sich durchaus vorstellen. Ob sie dafür auch eine Ausnahme in ihrem Speiseplan machen würde? „Wenn ich Fleisch essen würde, dann nur selbst erlegtes Wild.“ Für die 46-Jährige schließen sich Veganismus und Jagd nicht aus.
Auf die Jagd gehen ist schließlich mehr als Wild zu erlegen. Die Jäger sehen sich als Förster, Biologen, Metzger, Fährtenleser und Juristen. Zu ihren Aufgaben gehört es auch, Tier- und Wildarten zu erhalten, den Wald zu schützen und Seuchen zu bekämpfen. Die Ausbildung ist deshalb breit gefächert: Wildbiologie, Hundewesen und Forstwirtschaft sind nur einige von neun Fachrichtungen.
Dazu gehört auch Waffenkunde. Während Langwaffen zur Jagd verwendet werden, benutzen Jäger Pistolen oder Revolver nur aus der Nähe – zum Beispiel um ein verletztes Wild nach einem Unfall zu erlösen. Das wollen die Teilnehmer heute üben. Doch bevor sie mit der Pistole auf die zehn Meter entfernte Scheibe schießen, bittet Schießstandaufsicht Maximilian Bosch alle Teilnehmer, einen Gehörschutz aufzusetzen. Mit einem „Feuer frei“ gibt der Ausbilder die Scheibe frei. Nacheinander schießen die Teilnehmer. Thalhamer, Bosch und ein Kollege geben Tipps.
Ursula Hoffmann ist an der Reihe. Sie nimmt die Pistole in zwei Hände und zielt. Bevor sie schießt, korrigiert Bosch ihre Haltung. Dann knallt es fünf Mal. Die Schüsse hört man noch im Nebenraum. Hinterher besprechen Bosch und Hoffmann ihre Treffer. Alle im Raum sind hoch konzentriert. Am Boden liegen Patronenhülsen, die beim Schießen ausgeworfen werden.
Schießen ist Teil der Jagdprüfung. Um zugelassen zu werden, müssen die Teilnehmer 60 Theorie- und 60 Praxisstunden absolvieren. Zur Praxis gehören auch Reviergänge, Hege im Wald und der Umgang mit erlegtem Wild. „Die Jagdprüfung wird auch als das Grüne Abitur bezeichnet“, sagt Thalhammer. „Geschenkt wird nichts.“ Die Durchfallquote in Bayern liegt bei rund 30 Prozent.
Der nächste Schütze ist der Jüngste im Kurs, ein 15-Jähriger, der seinen Jugendjagdschein macht. Der Schüler schießt mit dem Revolver. Er feuert fünf Schüsse ab – fünf Mal ins Schwarze. Doch dann der Fehler. „Jetzt wärst du durch die Prüfung gefallen“, sagt Bosch. Denn der Münchner hat seine Waffe nicht schießstandgerecht abgelegt. So konnte Bosch nicht sehen, ob die Waffe leer und gesichert abgelegt wurde. „Bei der Waffenhandhabung fallen 50 Prozent der Prüflinge durch“, erklärt der Jäger. Doch die Durchfallquote schreckt nicht ab: Für den nächsten Kurs gibt es bereits eine Warteliste.