Proteststurm gegen Grundschul-Pläne

von Redaktion

Bildungsforscher: Stärkung von Deutsch und Mathe nicht auf Kosten der musischen Bildung

VON DIRK WALTER

München – Unter den Eltern und künstlerischen Verbänden ist der Ärger über die von Bayerns Staatsregierung beschlossene neue Grundschulreform groß. Auch Bildungsforscher stellen der Reform ein vernichtendes Urteil aus, und in der Koalition gibt es neue Misstöne.

„Dass die Stundenerhöhung für Deutsch und Mathe auf Kosten der musischen Bildung geht, ist fatal“, schreiben Klaus Zierer und Thomas Gottfried in einem gemeinsamen Kommentar zur Pisa-Offensive Bayern. Zierer ist Professor für Schulpädagogik an der Universität Augsburg, Gottfried dort wissenschaftlicher Mitarbeiter.

Zierer und Gottfried finden es falsch, Musik, Kunst sowie Werken & Gestalten künftig zu einem Fächerverbund zu verschmelzen, wie es Kultusministerin Anna Stolz (FW) am Dienstag angekündigt hatte. Das Konzept hat sie entworfen, weil sich die CSU gegen die Kürzung des dreistündigen Faches Religion in der 3. und 4. Klasse sperrte. Da Deutsch und Mathematik gestärkt werden, muss sie an anderer Stelle kürzen: Neben Englisch trifft es dabei auch die musischen Fächer.

Dies komme „einer Abwertung gleich“, schreiben Zierer und Gottfried. Kindern werde „jetzt schon klargemacht, das es wichtige und unwichtige Fächer gibt“. Ein Fach, „das im Stundenplan nicht einmal mehr auftaucht, ist abgewrackt“. Sie fragen sich, welches Menschenbild hinter diesem Konzept stecke. „Mehr denn je brauchen Kinder und Jugendliche auch Fächer, die Ästhetik, Emotionalität und Kreativität wecken und fördern.“ Man benötige „nicht weniger, sondern mehr Stunden in dieser Fächergruppe und keinen profillosen Fächerverbund, der die faktische Kürzung kaschiert“.

Eltern trommeln mittlerweile mit einer Online-Petition unter der Überschrift „Stoppe die Zusammenlegung der Fächer Kunst, Musik und Werken in den Grundschulen in Bayern“ auf der Plattform Change.org gegen die Reform. Die Unterstützung ist groß. Binnen eines Tages wuchs die Zahl der Unterzeichner von 35 000 (Donnerstag 11 Uhr) auf über 130 000. Auch die CSU mosert. Die Pläne seien „unzureichend“ und müssten „dringend weiterentwickelt“ werden, schrieb der CSU-Abgeordnete Peter Tomaschko am Freitag auf „X“. Prompt kam die Antwort von FW-Fraktionschef Florian Streibl: „Bravo Herr Kollege, Sie kritisieren hier die gesamte Staatsregierung einschließlich MP.“

Zierer und Gottfried geht es aber noch um mehr als nur die Verhinderung eines Verbunds der musischen Fächer. Es müsse „Schluss sein mit oberflächlichen Ressourcendiskussionen und Strukturdebatten“. Gefordert sei eine neue Lernkultur mit einer „Rückbesinnung auf wirksame Instrumente einer Didaktik des gesunden Menschenverstandes“. Die Kultur des Übens sei in einer Grundschule vor lauter Reformeifer, wenn nicht Reformwahn verloren gegangen. „Einmaleins muss man nicht auswendig können, Diktate sind unschön, Wiederholung ist langweilig und Routinebildung ist out“ – all das halten die Autoren für falsche Entwicklungen. „Keine Frage, dass diese Themenfelder auch vor der Abschaffung nicht immer pädagogisch überzeugend angewendet wurden. Aber sie gehören zum Lernprozess und es ist höchste Zeit, sie wieder zeitgemäß in die Schulen zu bringen.“

Sie warnen zudem vor dem Plan, alle Schüler in den weiterführenden Schulen mit Tablets auszustatten, wie es Stolz unter Fortführung von Plänen ihres Vorgängers Michael Piazolo (FW) angekündigt hatte. „Mit mehr Tablets im Unterricht mehr Qualität zu erreichen, mag aus politischer Sicht fortschrittlich wirken, aus pädagogischer Sicht ist es naiv.“ Bereits heute würden Kinder zu viel Zeit an Bildschirmen verbringen.

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