München – Arbeitsrechtler Prof. Richard Giesen ist Direktor des Zentrums für Arbeitsbeziehungen und Arbeitsrecht an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Seine jüngste Veröffentlichung hat den Titel „Streikrecht. Inhalt – Grenzen – Rechtsschutz“ (C.H. Beck Verlag). Er klärt die wichtigsten Fragen zum neuen Streik.
Sind Streiks ohne Ankündigung erlaubt?
GDL-Chef Claus Weselsky hat angekündigt, dass die Gewerkschaft bei künftigen Streiks nicht mehr die obligatorische 48-Stunden-Frist einhalten wird. Es werde, so sagen GDL-Kreise, zwar schon noch eine Vorab-Mitteilung geben, da die GDL ja auch ihre eigenen Leute informieren muss. Aber zum Beispiel sei es denkbar, dass ein Streik schon 40 Stunden nach dem Ende der vorherigen beginne.
Nach Einschätzung von Prof. Giesen ist das auch erlaubt. Die Rechtsprechung ist über die Jahrzehnte immer großzügiger geworden. Das Bundesarbeitsgericht hat 2007 den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit neu geregelt und erklärt, dass Arbeitskampfmethoden letztlich nur durch eine Gewerkschaft selbst definiert werden können. Auch verschiedene Landesarbeitsgerichte sind zuletzt immer großzügiger geworden. Schon eine kurze Vorwarnzeit reiche aus.
Gänzlich auf eine Ankündigung zu verzichten, kann sich Giesen dagegen „nicht vorstellen“. „Das ist eigentlich nicht denkbar, dass ein Lokführer sozusagen bei voller Fahrt auf die Bremse tritt.“ Es gehe auch um den Schutz des Eigentums der Arbeitgeber. Eine Lok müsse ins Depot, dürfe nicht einfach auf freier Strecke abgestellt werden.
Was ist der von der GDL angekündigte Wellenstreik?
Über die Ankündigung von GDL-Chef Weselsky, künftig „Wellenstreiks“ durchzuführen, runzelten auch GDL-Funktionäre die Stirn – zumal der GDL-Boss bei seinem kurzen Presseauftritt gestern Vormittag nicht erläuterte, was er darunter versteht. Ein Wellenstreik bedeutet eigentlich einen regional begrenzten Streik, erläutert Giesen. Die IG Metall hat so in der Vergangenheit verschiedene Betriebe bestreikt, um nicht gleich „in die Fläche“ zu gehen. Damit werde „ein vollkommener Zusammenbruch“ vermieden.
Übertragen auf die Bahn hieße ein Wellenstreik wohl, dass die GDL einzelne Bundesländer bestreiken könnte, mal Bayern, mal vielleicht NRW. Doch kann auch ein regionaler Streik bundesweite Auswirkungen haben. Würde beispielsweise Hessen lahmgelegt, könnten auch Fernzüge nicht mehr von München nach Hamburg fahren – oder nur mit großem Umweg.
Ist es möglich, DB und GDL zu Verhandlungen zu zwingen?
Nein. Auch das liege an der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, sagt Prof. Giesen. Die Rechtsprechung sei immer gewerkschaftsfreundlicher geworden.
Ab wann ist eine Schlichtung Pflicht?
Eine Pflicht zur Schlichtung gibt es nicht, sagt der Jura-Professor. Das sei letztlich „Goodwill“ von Bahn und Gewerkschaft, sich darauf einzulassen. „Auch ich halte eine Schlichtung wirklich für sehr sinnvoll“, sagt Giesen. „Es wird immer wieder, auch von mir, ein Schlichtungsgesetz gefordert.“ Darin könnte geregelt werden, wann eine Schlichtung eingesetzt werden sollte. Das sei derzeit nicht geregelt. So ein Gesetz dürfe aber nicht zur „staatliche Zwangsschlichtung“ wie in der Weimarer Republik führen – damals habe das dazu geführt, dass der Staat sowohl bei Arbeitgebern als auch bei Gewerkschaften verhasst gewesen sei.
Bei der GDL weist Giesen auf Unsicherheitsfaktoren hin. Zum einen sei sie Mitglied im Deutschen Beamtenbund, Streiks würden damit letztlich durch Beiträge der Beamten „querfinanziert“. Zweitens habe sie die Fairtrain gegründet, wolle Lokführer an die DB „verleihen“ und trete damit selbst als Arbeitgeber auf. Ob die GDL damit ihre Tariffähigkeit verliere, sei aber umstritten. dw