München – Richard Z., der Unglücks-Lokführer beim S-Bahn-Unfall von Schäftlarn, muss nicht ins Gefängnis. Das Amtsgericht München verurteilte ihn gestern zu einer Strafe von zwei Jahren, die zur Bewährung ausgesetzt wurde. Ausschlaggebend dafür war eine „günstige Sozialprognose“ – und die erkennbar tiefe Reue des Angeklagten, der während des Gerichtsprozesses immer wieder von Weinkrämpfen geschüttelt wurde.
Bei dem Zusammenstoß zweier S-Bahnen bei Schäftlarn-Ebenhausen am 14. Februar 2022 kurz nach halb fünf war ein 24-jähriger Asylbewerber, der sich ganz vorne im Zug befand, an seinen Verletzungen verstorben. 51 Passagiere waren zum Teil schwer verletzt, sie wurden von der Bahn mit teils lächerlich geringen Entschädigungszahlungen abgefunden. Unter ihnen war auch die Altbürgermeisterin von Baierbrunn, Christine Kammermeier (siehe Kasten). Der Schaden an den Zügen, Gleisen und Oberleitung betrug circa sieben Millionen Euro.
Am Tag des Urteils herrschte Anspannung bis zuletzt, ob der Angeklagte um eine Gefängnishaft herumkommen würde. Die Staatsanwältin hielt dem Angeklagten zwar zugute, dass er „aufrichtig beteuert“ habe, wie leid ihm der Unfall tue und er alles getan habe, um zur Aufklärung beizutragen – sogar eine Traumaberatung, um Erinnerungslücken zu schließen. All das sei als „umfassendes Geständnis“ zu werten. Doch weil der Lokführer ganz klar ein rotes Signal überfahren und die daran anschließende Zwangsbremsung eliminiert hatte, ohne den Fahrdienstleiter zu informieren, konnte sich die Juristin nicht dazu durchringen, auf Bewährung zu plädieren. Sie forderte zwei Jahre und neun Monate Gefängnis für den 56-Jährigen.
Der Verteidiger des Angeklagten sprach von einem „offenkundigen Augenblicksversagen“ des Lokführers. Er sei, so bemerkte er über seinen Mandanten neben ihm, „ein sensibler Mann, der sich die Fehler immer noch zu Herzen nimmt“. Der Verteidiger führte auch einen technischen Aspekt an, der zugunsten des Angeklagten zu werten sei: Am Ende des Bahnhof Schäftlarn-Ebenhausen überlappen sich zwei Zwangsbrems-Systeme. Zum einen wird ein Zug mit einem an der Schiene installierten 500- Hertz-Magneten gebremst, wenn er bei der Ausfahrt schneller als 25 km/h unterwegs ist – was durchaus immer wieder mal passiert. Zum zweiten wirkt ein 2000-Hertz-Magnet, falls ein Zug das Ausfahrtssignal trotz Haltebefehl überfährt – wie es ja auch der Fall war. Die Frage, ob der Lokführer die Zwangsbremsung auf die falsche, weniger schlimme Ursache zurückgeführt haben könnte und sich deshalb die Weiterfahrt genehmigte habe, hatte ein Gutachter bejaht.
Doch für das Urteil spielte der technische Zustand der Strecke nur eine untergeordnete Rolle. Der Angeklagte habe durch das Überfahren des Rot-Signals „eine der schwerwiegendsten Regelabweichungen“ im Bahnverkehr überhaupt begangen, befand Richterin Nesrin Reichle. Aber das Gericht habe auch den Eindruck gehabt, dass der Angeklagte sich seiner Verantwortung stelle. Weil der Mann wieder in Vollzeit als Postbote arbeitet und stabile soziale Bindungen zu Verwandten aufweist, könne eine günstige Sozialprognose ausgestellt werden. Daher sah das Gericht davon ab, Richard Z. ins Gefängnis zu stecken. Allerdings muss noch 180 Stunden gemeinnützige Arbeit verrichten.
Richard Z. nahm das Urteil unter Tränen zur Kenntnis. Die Unglücksfolgen würden ihn „für den Rest seines Lebens persönlich und finanziell belasten“, sagte die Richterin.