Die Prise in der Krise

von Redaktion

Bernards „Schmalzlerfranzl“: Nach 291 Jahren endet ein Stück Schnupftabak-Geschichte

Regensburg – Der „Schmalzlerfranzl“ lädt sich eine Prise Schnupftabak auf die Hand und manövriert sie gezielt Richtung Nase. Das Bild ziert bis heute jede Dose, in der der gleichnamige Schnupftabak verkauft wird. Vor über 100 Jahren hat die Firma Bernard ihn in Regensburg entwickelt und dank des Kassenschlagers gehörig expandiert. Die Geheimrezeptur aus Brasil-Tabak und Fett hat bis heute Fans. Das Wort „Schmai(zla)“ kommt vom Schmalzler – und der ist in Bayerns Wirtshäusern ein Kulturgut.

Jetzt ist er in Gefahr. Seit Kurzem ist klar: Bernard wird seinen Betrieb nach 291 Jahren einstellen. An Pfingsten tritt die EU-Richtlinie „TPD 3“ in Kraft. Sie schreibt vor, dass künftig die Lieferkette bei der Schnupftabak-Herstellung dokumentiert werden muss. Das könne man laut Geschäftsführerin Toni Alhäuser-Clausen nicht umsetzen.

Seit 2000 produziert Bernard in einer kleinen Niederlassung in Sinzing bei Regensburg. Die riesige Fabrik, in der man davor seit 1812 mitten in der Altstadt ansässig war, wurde damals aufgegeben. In dem prächtigen Patrizierhaus befinden sich nun Wohnungen und Cafés – und eine kleine Erinnerungsstätte an ein Stück bayerischer Wirtschaftsgeschichte. Hier im document-Schnupftabakmuseum bietet Matthias Freitag von den Museen der Stadt Regensburg Führungen an.

„Eigentlich sind wir kein Museum, eher ein Industriedenkmal, das von der frühen Globalisierung zeugt“, sagt er. „Ein Teil der Fabrik wurde nach dem Auszug von Bernard in dem Zustand belassen, wie hier schon in der Zeit um die Jahrhundertwende gearbeitet wurde.“ Die wuchtigen Geräte aus Holz und Stahl waren teils noch bis zum Umzug im Einsatz. So wie der Kollergang, ein Mahlwerk zum Zerkleinern und Mischen von Tabak.

In Europa beginnt der Hype um den Schnupftabak im Jahr 1677. Da wird in Sevilla das delikate Niespulver als Wundermittel gegen Kopfschmerzen, Zahnweh und Husten erstmals hergestellt. Bis am Stammtisch in Bayern geschnupft wird, dauert es noch lange. „Als Kolonialware war Tabak ein Luxusgut“, erklärt Freitag. „Anfangs hatten nur Königshäuser Zugriff, daher war Schnupftabak zuerst unter Adeligen Mode.“

Friedrich der Große soll das Schnupfen geliebt haben. Als er regiert, floriert das Unternehmen der Bernards schon. 1733 hatte Johann Nikolaus Bernard im hessischen Offenbach die erste Schnupftabakfabrik im Deutschen Reich gegründet. Um Zollgebühren zu sparen, suchen seine Nachfahren später eine Zweigstelle in Bayern. Dem Haus Thurn und Taxis kaufen sie 1812 für 10 000 Gulden die Patrizier-Hausburg mit Turm in Regensburg ab.

Die sogenannte Alchemistenstube kann Freitag dort Besuchern noch immer zeigen. Zig Apothekerfläschchen stehen in den Regalen. Hier tüftelte man an den Aromen der Schnupftabak-Sorten. „Diverse Geschmacksrichtungen anzubieten, ist keine neue Erfindung“, sagt er. „Damals kamen schon Duftnoten wie Menthol, Fichtennadel, Vanille und Lakritz zum Einsatz.“

Experimentierfreudig war gegen Ende des 19. Jahrhunderts auch der Erfinder des Schmalzlerfranzls. Wie für jede andere Sorte mussten die importierten, getrockneten Blätter der Tabakpflanze gehäckselt und in Fässern fermentiert werden. Erst durch diesen „Veredelungsprozess“ riecht der Tabak nach Tabak. Für das neue Produkt wurde ein besonderer Gewürztabak aus Brasilien doppelt fermentiert und statt mit Wasser mit Schweineschmalz gebunden. Geboren war der Schmalzler.

Schnell bescherte er der Firma und ganz Regensburg enormen wirtschaftlichen Aufschwung. „Um 1903 arbeiteten hier 350 Menschen. Bernard war eine große Nummer und der Schmalzlerfranzl eine Marke wie heute der Coca-Cola-Schriftzug“, so Freitag.

Immer mehr Hände und leistungsfähigere Maschinen hatten den Schnupftabak mit der Zeit auch für die normalen Bürger erschwinglich gemacht – und den berühmten Schmaizla an Bayerns Stammtische gebracht. Nur: Trends kommen und gehen in der Mode. Die groben Schmalzler mit ihrem starken, urigen Geschmack haben noch ihre Fans, sind aber nicht mehr in. Heute wird statt Schmalz zwar Paraffinöl versetzt, aber es ist auch bekannt, das Schnupfen ebenso schädlich ist wie Rauchen.

Das stürzt die Prise in die Krise. Wegen starker Umsatzeinbußen wurde Bernard 2008 von einer AG zur GmbH. Jetzt steht die Firma vor dem Aus. Schnupftabak aus Bayern wird es aber weiter geben. Marktführer Pöschl aus Geisenhausen bei Landshut setzt auf angesagte Snuffs mit Aromen und kann sich mit der neuen EU-Richtlinie arrangieren. Und vielleicht schlägt der Platzhirsch ja sogar zu – und rettet den Schmalzlerfranzl. CORNELIA SCHRAMM

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