Garching – Helga drückt die Einschalttaste an ihrem Handy. So fest, dass ihre Hand ein bisschen zittert. Aber der Bildschirm bleibt dunkel. Sie schaut sich suchend um – und zum Glück ist Cédric in der Nähe. „Kannst du dir das mal anschauen?“, fragt die 87-Jährige. „Klar“, antwortet er und setzt sich zu ihr an den Tisch. Wegen der Handyhülle muss man die Taste extra fest drücken, erklärt er – und schon klappt’s. Mitbewohner sind halt Gold wert.
Richtig gelesen: Helga Poschenrieder und Cédric Cheyssial leben in Garching im Kreis München. Wohnen für Hilfe nennt sich das. Heißt: Ältere und jüngere Menschen leben gemeinsam und unterstützen sich gegenseitig. Cédric lernt auch von Helga. „Ich nehme von ihr viel zum Thema Hundeerziehung mit“, sagt er. Sie leben nämlich in einer Vierer-WG. Denn als Cédric im September einzog, brachte er seine französische Bulldogge Rocket (3) mit – ein quirliges, kleines Kraftpaket. „Wir haben uns davor schon mal getroffen“, erklärt Helga. Um zu schauen, ob sie und Cédric sich gut verstehen. Und: Ob ihr belgischer Schäferhund Haroun (11) und Rocket sich riechen können. Nach kurzem Beschnuppern war klar: Das passt! Seitdem flitzen Haroun und Rocket im Garten um die Wette.
Und Helga und Cédric helfen sich gegenseitig im Alltag – nicht nur beim Handy und der Hundeerziehung. Cédric recht Laub, schippt Schnee, schleppt Einkäufe. Für Helga ein Glücksfall. Denn 2014 starb ihr Mann. Sie war plötzlich allein – bis sie damals einen Zeitungsartikel über Wohnen für Hilfe las. Und kurz darauf zog auch schon Lu Miao bei ihr ein, ein aus China stammender Doktorand an der Technischen Universität München (TUM).
Er lebte etwa sieben Jahre bei Helga. Als sie davon erzählt, leuchten Nachrichten auf ihrem Handy auf – von Lu. Helga überfliegt sie kurz. „Da hab ich nachher noch zu tun, um das alles zu beantworten“, sagt sie und lacht. Die pensionierte Diplom-Psychologin ist froh, dass sie immer Glück hatte mit ihren Mitbewohnern. Über die Zeit werden sie zu einer zweiten Familie für sie. Auch deshalb nimmt sie immer neue junge Menschen bei sich auf. Cédric ist ihr dritter Mitbewohner.
Die Abmachung ist immer dieselbe: Für das 16 Quadratmeter große Zimmer hilft er 16 Stunden im Monat. „In Klausur-Phasen natürlich weniger“, erklärt Helga. „Dafür ist ein anderes Mal mehr zu tun.“ Eine gute Regelung für Cédric. Denn auch er studiert Mathe an der TUM. Dafür zog er aus Bad Aibling her. Weil er kein Vermögen fürs Wohnen ausgeben wollte, recherchierte er – und die Initiative Wohnen für Hilfe brachte ihn und Helga zusammen. Ideal, denn er braucht nur wenige Minuten zur Mathe-Fakultät in Garching. Dafür bezahlt er nur die anfallenden Nebenkosten und kann dafür das große Haus samt Garten nutzen.
Er hilft gern, ihn in Schuss zu halten, kennt die Arbeit vom großen Grundstück seines Opas. Er wirkt zufrieden, als er erzählt. „Ich schätze ihre Offenheit“, sagt er und schaut zu Helga. Er sei in der Vergangenheit angefeindet worden, wegen seiner französischen Wurzeln. Bei Helga hat Cédric einen sicheren Ort gefunden. Davon profitieren beide. „Es ist für mich auch schön“, sagt sie. So kann sie in ihrem vertrauten Haus bleiben. „Und bin nicht die ganze Zeit allein.“
Bald werden sie sich verabschieden. Denn diesen Monat will Cédric seinen Studiengang wechseln und zurück in seine Heimat ziehen. Dann wird wohl wieder jemand Neues bei Helga einziehen.
Das Projekt
Wer sich für Wohnen für Hilfe interessiert, kann sich in München an den Verein „Beinander“ wenden. Ansprechpartner sind unter Telefon 089/13 92 84 19 20 sowie per Mail an wfh@ beinander.org erreichbar. Wohnen für Hilfe gibt es auch in anderen Städten. Infos dazu auf der Seite der Uni Köln (www.hf.uni- koeln.de/33114).