Die Helfer für pflegende Angehörige

von Redaktion

VON KATRIN WOITSCH

Allach – Bernd verschwand schleichend. Er hatte immer gerne gebacken – aber plötzlich brauchte er für seinen Hefekuchen den ganzen Tag. Bei den Kreuzworträtseln in der Zeitung blieben immer mehr Felder offen. Er entwickelte plötzlich Eigenheiten, die seine Frau Elisabeth Rudolf (Name geändert) nicht nachvollziehen konnte. 2017 erhielt Bernd Rudolf die Diagnose Demenz. Schon ein Jahr später hatte sich sein Zustand so rapide verschlechtert, dass seine Frau beschloss, früher in Rente zu gehen. „Mir war klar, dass sich unser Leben nun komplett ändern würde“, erzählt sie.

Zwei Jahre betreute sie ihren Mann zu Hause. Doch von Monat zu Monat wurde es schwieriger – obwohl sie eine Engelsgeduld mit seiner Krankheit hatte. Wenn er sagte, er müsse dringend in die Uni, wo er früher viel Zeit verbracht hatte, setzte sie sich mit ihm ins Auto und fuhr ihn durch die Gegend, bis er sich beruhigt hatte. Nachts schlief sie oft kaum, weil er unruhig durchs Haus lief. Erst bekam sie Unterstützung von einer Pflegehilfe der Caritas – doch die zwei Stunden pro Woche reichten bald nicht mehr. Als sie auf der Hochzeit ihres Sohnes war, eskalierte die Situation zu Hause. Ihr Mann wollte die Pflegehilfe mitten in der Nacht vor die Tür setzen. Elisabeth Rudolf spürte: So konnte es nicht mehr lange weitergehen.

Dann hat das Glück ein bisschen nachgeholfen. Sie erfuhr zufällig von der Tagesbetreuung Rosengarten in Allach – und bekam dort für ihren Mann trotz Warteliste ziemlich schnell einen Platz. Seit knapp drei Jahren ist er dort drei Tage in der Woche. Es gibt auch eine Nachtbetreuung für ihn. In diesen Tagen hat Elisabeth Rudolf die Möglichkeit, wieder etwas Energie zu tanken, Freunde oder ihren Enkel zu sehen, sich um Alltägliches zu kümmern – und nachts wieder durchzuschlafen. Ihr Mann ist nur noch vier Tage pro Woche bei ihr. Für diese Tage reicht ihre Kraft.

Nicht nur für Elisabeth Rudolf ist der Rosengarten eine wichtige Stütze im Alltag. 17 Gäste werden dort täglich von fünf bis acht Mitarbeitern betreut, berichtet Pflegedienstleiter Christian Schmidt. „Spezialisiert sind wir auf Menschen mit mittel- und schwergradigen Erkrankungen.“ Und auf Menschen mit seltenen Demenzarten, erklärt er. Die Betreuung ist individuell, es gibt viele Beschäftigungsangebote, niemand muss aber etwas machen, worauf er keine Lust hat, sagt Schmidt.

Im Wintergarten der Einrichtung sitzt eine Pflegekraft mit einigen Gästen am Tisch. Sie singen Lieder. In einem Sessel am Fenster beobachtet eine ältere Damen die Gruppe, sie kennt die Lieder nicht, hört er aber gerne zu. Ein paar andere Gäste genießen den ersten warmen Frühlingstag und spazieren über die Terrasse oder durch den Garten. Mehrmals wöchentlich gibt es Ausflüge wie kleine Wanderungen oder Ausstellungs- und Restaurantbesuche. „Wir versuchen, für jeden das passende Angebot zu schaffen“, betont Schmidt. Gerade bei Demenzkranken sei Flexibilität sehr wichtig. „Wir müssen uns in ihre Welt einfügen, nicht sie in unsere.“ Jeder Gast soll so sein dürfen wie er ist, auch wenn das nicht der Norm entspricht. „Wenn ein Gast die Erdbeeren schälen möchte, kann er das tun. Wenn jemand den ganzen Tag singt, hören wir zu.“

Die Philosophie dahinter stammt von der Sozialpädagogin Sonja Brandtner. Sie hat die Einrichtung 1997 gegründet. Sie ist 365 Tage im Jahr geöffnet. Zum Angebot gehört auch ein Fahrdienst. Kooperationspartner ist der Verein „wohlBEDACHT“, der seit Kurzem auch die Nachtbetreuung anbietet. So können Menschen wie Bernd Rudolf auch mehrere Tage am Stück betreut werden, erklärt Schmidt. Für viele Angehörige ist das eine große Entlastung. Diese Hilfe ermöglicht es ihnen, ihre Partner oder Eltern so lange wie möglich zu Hause pflegen zu können.

„Viele Angehörige holen sich erst viel zu spät Hilfe“, berichtet Christian Schmidt. Erkrankte bräuchten Zeit, um sich an ein neues Umfeld zu gewöhnen. „Je länger man wartet, desto größer werden die Hürden“, betont er. Deshalb bietet der Rosengarten auch Beratung und einen Erfahrungsaustausch für Angehörige an. Die Preise für die Betreuung hält die Einrichtung bewusst niedrig – das Angebot soll für jeden bezahlbar sein, wünschte sich Sonja Brandner. Einen Großteil finanzieren die Krankenkassen, dazu kommt ein Eigenanteil, den die Familien selbst zahlen müssen. Er liegt bei rund 20 Euro.

Elisabeth Rudolfs Alltag hat sich sehr verändert, seit sie ihren Mann nicht mehr rund um die Uhr betreuen muss. Sie kann Zeit mit ihrem Enkel verbringen, ohne auf die Uhr schauen zu müssen. Sie trifft wieder Freunde. Und sie hat wieder viel Kraft an den Tagen, an denen ihr Mann bei ihr Zuhause ist.

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