Bruckmühl – Katharina Baur (36) leitet das Zentrum für Volksmusik, Literatur und Popularmusik (ZeMuLi) in Bruckmühl im Kreis Rosenheim. Die Historikerin macht das ehemalige Volksmusikarchiv für den Bezirk Oberbayern fit für die Zukunft. Nach einem Umbau sollen hier Musiker proben und Konzerte geben. Tausende Notenblätter und Artefakte werden digitalisiert. Darunter auch die Nachlässe echter Größen.
Sie leiten das ZeMuLi seit Juni 2021. Was unterscheidet es vom ehemaligen Volksmusikarchiv?
Das Archiv ist das Fundament der drei neuen Säulen. 2017 hat der Bezirk Oberbayern das ehemalige Krankenhaus in Bruckmühl, in dem seit 1999 das Volksmusikarchiv untergebracht war, und den Gebäudekomplex daneben gekauft, um die Sparten Volksmusik, Literatur und Popularmusik samt all der zugehörigen Kulturgüter, die in seinem Besitz sind, unter einem Dach zu vereinen.
Sie stellen sich räumlich neu auf. Was ist geplant?
Wir bauen um, bis 2027 soll das ZeMuLi auf 3000 Quadratmetern nicht nur ein Archivdepot für verschiedene Musikinstrumente, Papierdokumente und Medien beherbergen, sondern auch eine Bibliothek, ein Tonstudio und Proberäume, die Musiker mieten können. Auch ein Konzertraum mit 120 Sitzplätzen und Ausstellungsräume entstehen. Musik und Literatur sollen hier nicht nur gesammelt und erforscht, sondern auch gelebt werden.
Popmusik ist jung, ständig kommt Neues dazu. Was wird gesammelt?
Alles, was aus Oberbayern kommt, mit Oberbayern zu tun hat oder auf Bairisch verfasst ist, kommt infrage.
Ein anderes Beispiel: Der Oimara vom Tegernsee singt auf Bairisch und erobert Bayerns Bühnen. Ist er im Archiv gelistet?
Das Archiv ist noch nicht mit ihm als Newcomer befasst, aber die Popularmusik.
In unserer Region entsteht Volks- und Popularmusik. Was ist der Unterschied?
Die Grenzen lassen sich nicht so scharf ziehen. Popularmusik ist eher auf kommerzielle Aspekte ausgerichtet. Gruppen wie LaBrassBanda treten in Lederhose und mit Tuba, Posaune und Trompete mit traditionellen Instrumenten auf. Ihre Beats, Konzerte und auch der Verkauf von Fanartikeln lassen sich aber der Popularmusik zuordnen.
Aktuelles findet man online – unbekanntere, gar vergessene Noten aus der Zeit um 1900 nicht. Kriegt man die im ZeMuLi?
Wir veröffentlichen immer wieder Notensätze, die gratis sind oder für kleines Geld zu erwerben. Mit der umfassenden Dokumentation, Katalogisierung und Digitalisierung unseres Archivs – darunter sind 1800 Sammlungen und Nachlässe – soll der Bestand wie in Bibliotheken auch in einer Online-Datenbank einsehbar sein. Entweder lassen sich dann Liederzettel herunterladen oder man kann bei uns das Original anschauen und eine Kopie mitnehmen.
Wie kommen Sie an so viele Artefakte?
Erben oder Nachlassverwalter von Musikern oder Sammlern bringen sie zu uns. Das sind oft zig Schachteln, die voller Liedzettel und Notenhefte, aber auch voller Manuskripte und Briefe sind. Die Erschließung solcher Dokumente kann Jahre dauern. Das Spannende ist, dass man vorher nie weiß, was in so einer Schachtel steckt.
Was war der letzte Schatz?
Die Gemeinde Uffing hat uns alte, lose Notenhandschriften übergeben. Um daraus ein Heft zu erstellen, muss man alle Teile sichten, transkribieren und feststellen, für welche Instrumente die Noten geschrieben sind. Einzelne Stücke passen wir auch an aktuelle Besetzungen an, schreiben etwa für die Querflöte eine Stimme dazu. Heute ist sie in jeder Blaskapelle üblich, früher war sie selten. Wir wollen Volksmusik pflegen – und, dass sie gespielt wird.
Für welches Thema brennen Sie am meisten?
Generelles Ziel ist, die Nachlässe einiger Volksmusik-Größen im Haus zu erforschen, um Ergebnisse später auch im ZeMuLi auszustellen. Dazu zählen Wastl Fanderl und der Kiem Pauli. Auch der Tiroler Musikwissenschaftler Karl Horak hat sein Privatarchiv zur Volksmusik- und Volkstanzforschung 1985 an den Bezirk Oberbayern übergeben. Sehr spannend finde ich persönlich den Nachlass von Annette Thoma. Sie gilt als Grand Dame der Volksmusik und feiert heuer 50. Todestag. Sie war eine der wenigen Frauen in der Szene und hatte mit allen anderen Größen zu tun, etwa mit dem Kiem Pauli und Tobi Reiser aus Salzburg. Sie war Literatin, Volksmusikerin und Sammlerin und hat vieles initiiert, was wir heute als traditionsreiches Kulturerbe Oberbayerns bezeichnen. Etwa die Deutsche Bauernmesse.
Wie schaut der Nachlass von Annette Thoma aus?
Bunt. Uns liegt Thomas musikalischer Nachlass vor, darunter das Hirtenspiel für die Riederinger Hirtenkinder. Dazu kommen ausführliche Korrespondenzen mit all den Volksliedsammlern ihrer Zeit. Uns liegen sogar die Schleifen vor, die 1974 die Blumen auf Annette Thomas Sarg geschmückt haben.
Interview: Cornelia Schramm