Wie der Palmesel zur Holzfigur wurde

von Redaktion

Im Georgianum in München sind sehr alte Kunstwerke zu sehen – darunter auch seltene Schätze

VON ILONA RAMSTETTER

München – Geblieben ist der Spott: Wer am Palmsonntag als Letzter der Familie aus dem Bett kommt, wird Palmesel genannt. Die scherzhafte Bezeichnung für einen Langschläfer stammt aus früheren Zeiten. Derjenige, der am Palmsonntag nach der Pro-zession als Letzter die Kirche betrat, wurde Palmesel genannt. Über 500 Jahre lang gab es in Erinnerung an Jesu Einzug nach Jerusalem die Tradition des Palmesel-Umritts. Dabei zog vor allem im süddeutschen Sprachraum ein auf einem Esel sitzende Christusfigur durchs Dorf, um Segen für Haus und Bewohner zu bringen. Anfangs ritt noch der Pfarrer auf einem echten Esel mit, schon ab der Spätgotik wurden Pfarrer und Esel durch Holzfiguren ausgetauscht – auch, weil aufklärerische Theologen die Darstellung Jesu durch einen Menschen ablehnten. Und der Esel hatte sich zu oft als störrisch erwiesen.

Die kunstvoll gearbeiteten Holz-Esel mit Christusfigur finden sich heutzutage nur noch in wenigen Kirchen und Museen. Umso erstaunlicher, dass die Kunstsammlung des Herzoglichen Georgianums in München gleich vier Exemplare besitzt. Der spätgotische Palmesel-Christus von Altstätten im Allgäu aus dem Jahr 1490, vielleicht der Schönste der vier, begrüßt den Besucher gleich am Eingang des Museums an der Ludwigstraße. Auf einem breit dastehenden Esel mit überlangen Ohren sitzt eine Christusfigur wie ein König auf einem Thron. Sie hat einen strengen Blick, wallende Haare und trägt ein Kleid in dunklem Purpurrot. Der rechte Arm zum Segen erhoben, die linke Hand hat den Zügel gehalten. Am Haarkranz erkennt man eine Einkerbung, die zeigt, dass dieser Christus eine Krone trug. „Diese Krone gibt es noch“, erklärt Claudius Stein, Landeshistoriker für bayerische Geschichte an der Ludwig-Maximilians-Universität und Pfleger der Sammlungen des Georgianums.

Er holt die vergoldete Blechkrone aus einer Vitrine und setzt sie der Figur für ein Foto auf. Vor Jahrzehnten sei entschieden worden, die Krone wegzulassen, sagt Stein. Er plädiert dafür, diese Reduzierung wieder zurückzunehmen. Sie sei wohl entstanden, weil der frühere Georgianum-Direktor Andreas Schmid eine Vereinheitlichung der Palmchristusfiguren anstrebte. In diesem Zuge seien auch die Gewänder der Figuren einfach mit Ölfarbe übermalt worden. Schmid war ein leidenschaftlicher Sammler sakraler Kunstwerke. „Er wollte den Zöglingen des Hauses, meist Studenten an der Theologischen Fakultät, Grundkenntnisse in kirchlicher Kunst vermitteln“, sagt Stein. „Am Ende seiner Amtszeit waren mehrere tausend Objekte vorhanden, von denen aber nur rund 800 den Zweiten Weltkrieg überlebten.“ Auf der Suche nach Bildhauerarbeiten von der Romanik bis zum Historismus reiste Schmid durch Bayern. In Kirchen und Pfarrhöfen, aber auch bei Trödlern auf der Auer Dult wurde er fündig. Dabei entdeckte er die vier Palmeselfiguren, die vielerorts nur noch ein Schattendasein fristeten. Zur Zeit der Aufklärung waren die beliebten Palmesel-Umritte verdrängt worden, weil es dabei allzu fröhlich zugegangen war. In Salzburg verbot Erzbischof Hiernonymus von Colloredo 1779 solche „theatralischen Darstellungen“ sogar als unheiliges Treiben. Die berüchtigten „Eselsmetzger“ wurden ausgeschickt, die Holzfiguren zu zersägen und zu verbrennen.

Der zweite Palmeselchristus des Georgianums stammt aus dem Jahr 1680 und vom Augustiner-Chorherrenstift Polling. Christus kommt nicht – wie bei der gotischen Figur – als der neue davidische König. Hier zieht er ein als prophetischer Lehrer, erklärt der Münchner Professor Ludwig Mödl. Er macht seine Interpretation an der Haltung der rechten Hand fest. Christus zeigt die offene Handfläche, die beiden mittleren Finger sind zusammengelegt, der Zeigefinger, der kleine Finger und der Daumen stehen ab. „Das ist der Gestus eines Redners“, so Mödl. Die beiden anderen Palmesel-Christusfiguren stammen aus dem 18. Jahrhundert und sind aus Friedberg und Neuburg an der Kammel. Einer ist im Sprechgestus gestaltet, einer eher demütig.

Inzwischen wird die Tradition der Palmeselprozession an manchen Orten in Bayern wiederbelebt. Und ein paar Gemeinden hätten ihre Palmesel gerne zurück. Aber davon will Archivar Stein nichts hören: „Die Palmesel gehören seit 1886 zum Bestand des Museums und das soll auch so bleiben.“

Das Museum

befindet sich im Priesterseminar gegenüber des LMU-Hauptgebäudes an der Ludwigstraße. Im Hochparterre sind etwa 300 Objekte der Sammlung ausgestellt. Das Museum kann nach telefonischer Vereinbarung besichtigt werden (089/28 62 01). Eintritt: drei Euro.

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