Rentenversicherung treibt Verlag in die Krise

von Redaktion

Der niederbayerische Lichtung Verlag muss „aus heiterem Himmel“ 40 000 Euro nachzahlen

VON TINA SCHNEIDER-RADING

Viechtach – Gerade ist im Lichtung Verlag ein Buch zum hundertsten Todestag von Franz Kafka erschienen. Bernhard Setzweins Roman heißt „Kafkas Reise durch die bucklige Welt“ – und irgendwie ist das kleine Kulturunternehmen gerade auf einer ähnlich holprigen Straße unterwegs: Die Deutsche Rentenversicherung fordert eine Nachzahlung von knapp 40 000 Euro, einen Betrag, den die Niederbayern nicht aufbringen können.

„Aus heiterem Himmel“ habe sie die Forderung für die Jahre 2019 bis 2023 getroffen, heißt es in einer Mitteilung aus Viechtach (Kreis Regen). „Das ist die größte Krise, die es für uns je gab“, sagt Kristina Pöschl. Seit zehn Jahren ist die Journalistin eine der beiden Geschäftsführerinnen, gerade kommt sie von der Leipziger Buchmesse zurück. Der Verlag sollte das Geld zunächst innerhalb von vier Wochen aufbringen. Inzwischen wurde eine Ratenzahlung auf zwei Jahre ausgehandelt: „So bleiben wir wenigstens handlungsfähig.“

Bayerische Literatur in Lyrik und Prosa, dazu Bildbände sowie Sach- und Kunstbücher über die Region. Engagiert, unabhängig, anspruchsvoll: Seit 1990 gilt der mehrfach ausgezeichnete Provinzverlag mit eigener Zeitschrift als fester Bestandteil der Literaturlandschaft, die Abonnenten kommen bis von der Nordsee, die e-Books werden sogar in die USA verkauft. „Es ist ein Dilemma“, sagt Pöschl. „Einerseits unterstützt uns die Politik mit Förderungen und Preisen. Andererseits fordert eine staatliche Behörde nun riesige Summen.“

Der Hauptschullehrer Hubert Ettl (76) hatte 1987 einen Verein gegründet, brachte zunächst die kritische Kulturzeitschrift „Lichtung“ und bald die ersten Bücher heraus. Drei Jahre später wurden die Redakteure zu Gesellschaftern, seit 2014 sitzen die Geschäftsführerinnen Pöschl (38) und Eva Bauernfeind (63) am Steuer. Beide sind freiberufliche Journalistinnen, sie arbeiten auch für andere Unternehmen, allein vom Leitungsposten bei „der Lichtung“ könnten sie nicht leben.

Sie rechneten ihre Stunden im Verlag nach Honorar ab, die Einnahmen hatte das Duo beim Finanzamt ordnungsgemäß angegeben und die Versicherungsbeiträge über die Künstlersozialkasse (KSK) abgeführt. Der Verlag wiederum meldete alle Honorare an die KSK und zahlte seit Unternehmensgründung entsprechende Abgaben. Die Deutsche Rentenversicherung kam nach einer Prüfung nun zu einer Neubewertung: Die Geschäftsführerinnen müssten einheitlich als Angestellte beschäftigt sein, alle Beträge seien über den Verlag abzuführen.

„So ein Vorgehen mag rechtlich in Ordnung sein“, sagt Pöschl. „Aber kleine Unternehmen bringen rückwirkende Zahlungsforderungen in große Schwierigkeiten“. Sie hält sie es für fair, rechtzeitig auf Änderungen hinzuweisen, damit man sich auf Zahlungen einstellen könne. Ähnliche Fälle im Kulturbetrieb häufen sich: „In unserer Branche sind die Honorare ohnehin nicht üppig. Aber für Freiberufliche im Museum oder beim Film gibt es jetzt öfter gezielte Prüfungen ohne Vorwarnung.“

Nach dem ersten Schock griff der Verlag auf ein bewährtes Kapital zurück, es hat die unbeugsamen Niederbayern erfolgreich durch drei Jahrzehnte Kulturarbeit geführt: Kreativität und Kampfgeist. Rettungspakete wurden geschnürt, man kann Überraschungs-Buchsets für 50 Euro beim Verlag bestellen. Auch Benefizveranstaltungen sind angedacht. „Der Bescheid wird unsere Arbeit für die nächsten Jahren einschränken“, sagt Pöschl. „Aber wir kämpfen weiter.“ Manchmal zweifelt die Journalistin, ob ihre Arbeit überhaupt noch Sinn macht. „Aber dann sehe ich, wie begeistert die Leser auf unser Programm reagieren. Und da weiß ich wieder, warum wir uns das antun.“

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