München – An Silvester 1954 macht die Polizei in München einen grausigen Fund: In einem Gartenhäuschen liegt die Leiche der 21-jährigen Elfriede Kirchner. Sie muss schon vor zwei Wochen erstochen und dort zurückgelassen worden sein. Am 16. Dezember hatten sie ihre Eltern vermisst gemeldet. Die glauben den Täter zu kennen: Josef Salus. Der 40-Jährige ist ihr Untermieter – und seit 15. Dezember verreist.
Das Gartenhaus, der Tatort, gehört Salus. Einst war es das geheime Liebesnest der jungen Elfriede und ihres viel älteren Verehrers, erfahren die Ermittler. Schon seit vier Jahren sollen die beiden ein Verhältnis gehabt haben. Bei der Toten finden die Ermittler einen Brief, datiert auf den 22. Dezember und unterzeichnet von Salus: „Habe dich ein letztes Mal gesehen. Ich folge dir! Wenn es wirklich eine andere Welt gibt, treffen wir uns dort.“ Salus bereut den Mord aus Eifersucht. Den Schneid, sich umzubringen, hatte er aber nicht. Er besuchte die Leiche immer wieder und setzte sich dann ab.
„Josef Salus ist eine schillernde Figur. Polizei und Justiz brauchen damals lange, um sich ein Bild von ihm zu machen“, sagt Ulrike Hofmann. Die Archivarin des Staatsarchivs München beschäftigt sich mit historischen Mordfällen, darunter ist auch der Gartenhäuschen-Mord. Die Originalakte bringt einige Kilogramm auf die Waage. „Sie dokumentiert, wie die Ermittler Schritt für Schritt herausfinden, was Salus in den Wirren des Krieges und der Nachkriegszeit für eine Art Mensch war“, erklärt Hofmann. „Durch die Affäre mit Elfriede wird der dubiose Heiratsschwindler zum eifersüchtigen Stalker – und schließlich zum Mörder.“
Salus wird 1914 in der Slowakei geboren. 1944 wird er an die SS ausgeliefert und landet als politischer Häftling im KZ. Er überlebt und lässt sich nach dem Krieg neue Papiere machen. Er gibt an, Doktor der Medizin und Chirurg zu sein – eine Lüge, von der er sich Wohlstand erhofft. Ab 1. Mai 1945 lebt er in München.
„Er verschaffte sich durch Abtreibungen und Ausnützung leichtgläubiger Frauen Gelder, die ihm ein verhältnismäßig großzügiges Leben gestatteten“, steht in der Akte. Mindestens zwei Frauen versprach Salus die Heirat und erhielt von ihnen deshalb rund 10 000 Mark.
Von den düsteren Machenschaften des Untermieters ahnt Familie Kirchner nichts. Der 36-jährige Arzt verführt 1950 erst die Mutter, dann die 17-jährige Tochter Elfriede. „Im Gegensatz zu allen anderen Frauen, deren Bekanntschaft er machte, erwachte das lebenslustige Mädchen tiefe Gefühle in ihm“, heißt es in der Akte. Das Gartenhaus ist Salus’ Überraschung zu Elfriedes 21. Geburtstag im Mai 1954.
Elfriede aber wird flügge: Sie ist jetzt Sekretärin im Büro des Oberbürgermeisters und schwärmt für einen Oberrechtsrat, der sie in Bars und auf die Wiesn ausführt. Salus brennt vor Eifersucht. Er erpresst sie, die Liebelei mit ihrem Chef im Rathaus bekannt zu machen. Elfriede will ihn zur Rede stellen. Im einstigen Liebesnest aber sticht der ihr ein Messer in die Brust. Salus schreibt Tage später seinen Abschiedsbrief und verschanzt sich danach in Starnberg. Dort nimmt ihn die Polizei am 4. Januar 1955 fest. Wegen Totschlags wird er zu 14 Jahren Haft verurteilt. CORNELIA SCHRAMM