Spargel-Wettstecher aus der Politik

von Redaktion

Wer sticht wen beim Stangerl-Ernten: Söder, Aigner und der Lauf ums beste Bild

VON CHRISTIAN DEUTSCHLÄNDER

München – Hier gibt es keinen Zufall, nur präzise Planung. „Glättkelle“ steht auf dem Schild, und daneben liegt die Glättkelle, das Stechmesser ist ordentlich als „Stechmesser“ beschriftet. Damit die Hobbyspargler wissen, wo sie losgraben müssen, steckt eine kleine Hinweistafel in der millimetergenau getrimmten Erde: „Höchste Zeit zum Stechen.“ Und wer genau hinhört, vernimmt noch ein Flüstern des Kapellmeisters an seine Musiker: „Wenn ogstocha is’, machma an Tusch!“

So geht es zu auf Bayerns kleinstem Spargelfeld. Es ist aufgebaut am Viktualienmarkt – einzig zum Zweck, dass die obersten Politiker einmal reingraben und für die Pressefotos die Saison eröffnen. Wer glaubt, das wäre ein lästiger Routinetermin für Markus Söder, der irrt. Der Ministerpräsident redet und sticht mit Inbrunst. Und mit Talent, denn das mit dem Spargel macht er jährlich. „Ich bin kein Vollveganer“, sagt Söder, und die ersten Zuhörer grinsen, „aber dieses Gemüse – da krieg ich nicht genug.“ Pur wolle er es, „net noch fünf Erdbeeren rein, ich brauch auch kei Soße.“ Und dann esse er den Spargel „bis zum…“ (kurze Pause, Gelächter) „bis man nimmer kann“.

Er kann immer, jedenfalls bei den Spargelfotos. Im Lauf der Jahre haben Bayerns oberste Landespolitiker diesen Anstich für sich entdeckt. Edmund Stoiber ließ sich den Spargel von der Produktkönigin in die Staatskanzlei bringen, der Nordoberbayer Horst Seehofer stach ab und zu selbst, Söder legt ausnahmslos persönlich Hand an.

Der Nutzen ist klar: Für den gastgebenden Spargelerzeugerverband Südbayern und die ganze Branche, immerhin 420 Betriebe, ist der Gaststecher eine Ehre – und Werbung in wirtschaftlich härteren Zeiten und bei Billiglohn- Konkurrenz aus dem Ausland. Für Söder ist es der perfekte Positiv-Termin: ein Bekenntnis zur bäuerlichen Landwirtschaft, zu guten regionalen Produkten und, hoppla, ein kleiner Seitenhieb auf den Ampel-Ärger um den Agrardiesel. „Applaus, so schaugt’s aus“, sagt der Moderator begeistert zu Söder.

Dass die ZDF-„Heute Show“ 2022 aus den Söderspargelfotos eine Montage bastelte, in der er sich ein Stangerl in die Nase schiebt, dürfte nicht jeder lustig finden. Wichtiger für ihn: die anderen zwei Dutzend Fotografen, die sich am Viktualienmarkt ernsthaft ums beste Bild balgen.

Politiker, die auch mal ein Spargelfoto wollen, müssen sich derweil was ausdenken. Münchens Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD), eigentlich Hausherr am Viktualienmarkt, hat kapituliert und entsendet stets nur noch Vertreter aus dem Stadtrat zum Schaustechen. Bundesagrarminister Cem Özdemir, als Grüner nicht naturgemäß als oberster Schutzherr der Branche in Bayern empfunden, wich letztes Mal gleich auf einen Hof nach Hannover aus. Landtagspräsidentin Ilse Aigner (CSU) schafft es dieses Jahr, vier Tage vor Söder zu stechen. Sie nutzt den regionalen Spargelanstich in Abensberg für ihren Auftritt, mit Handschuhen, Dirndl und sogar echt auf dem Feld.

Bayerns Agrarministerin Michaela Kaniber (CSU, eigentlich wäre das ja ihr Termin) akzeptiert die Rolle hinter Söder schmunzelnd. Früher sei Spargel mal „Königsgemüse“ genannt worden, sagt sie, „nun ist es das Ministerpräsidentengemüse geworden“. Was sie nicht ausspricht, aber als sehr tröstlich empfinden dürfte: Hubert Aiwanger (FW), der gern den Nebenagrarminister gibt, hatte 2021 recht gekonnt in Schrobenhausen die Saison angestochen – für ihn ist heuer leider, leider kein Platz beim Pressetermin übrig.

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