Amberg/München – Im Jahr 1907 kann sich Josef Friedrich Schmidt nur eine winzige Wohnung in München-Giesing leisten. Er hat drei lebhafte Söhne – und die müssen auf dem engen Raum dringend beschäftigt werden. Also wird der gebürtige Amberger kreativ. Auf eine alte Hutschachtel zeichnet er ein Spielfeld in Kreuzform, dazu überlegt er sich Regeln. Vermutlich ahnt er damals schon, dass es ein Spiel der Emotionen werden würde. Denn er gibt seinem Spiel den Namen „Mensch ärgere dich nicht“. Und schnell stellt sich heraus: Es ist schwer möglich, das Spiel zu spielen, ohne dass sich jemand dabei ärgert.
Die ersten Exemplare sind nur für seine Familie und Freunde gedacht. Doch dann beginnt 1914 der Erste Weltkrieg – und hilft dabei, das Spiel weltberühmt zu machen. Schmidt ist Patriot und schickt 3000 in seiner Werkstatt produzierte Spiele als Spende an die deutschen Lazarette. Er will den verwundeten Frontsoldaten eine Freude bereiten – und das gelingt ihm. Nach Kriegsende machen die Soldaten das Spiel bekannt. Schmidt, der inzwischen ein Gewerbe als Spielefabrik angemeldet hat, verkauft eine Million „Mensch ärgere dich nicht“. Ein Spiel kostet 35 Pfennig. Es dauert nicht lange, bis es zum beliebtesten Spiel der Deutschen geworden ist.
Und es ist nie aus der Mode gekommen – trotz der vielen aufwendigen Strategie- und Computerspiele, die seitdem erfunden wurden, ist das „Mensch ärgere dich nicht“ heute noch eines der erfolgreichsten Gesellschaftsspiele. 100 Millionen Exemplare sind in den vergangenen 110 Jahren verkauft worden, Generationen von Kindern sind damit aufgewachsen. Dass das Spiel so ein Erfolg werden würde, damit habe niemand rechnen können, sagt Axel Kaldenhoven, Verlagsgeschäftsführer von Schmidt Spiele. Gerade die Einfachheit der Regeln macht den Reiz des Spiels aus, glauben Experten. Studien zeigen, dass zu komplexe Regeln die Motivation hemmen könnten, ein Spiel zu beginnen, sagt Christian Gürtler, Medienwissenschaftler an der Universität in Erlangen. Bei „Mensch ärgere dich nicht“ seien die Regeln so einfach, dass auch kleine Kinder sie begreifen könnten. „Es ist ein gutes Einstiegsspiel, um zu lernen, Regeln einzuhalten, zu zählen und die Emotionen zu regulieren.“
Allerdings: Kaum jemand spielt „Mensch ärgere dich nicht“ heute nach den Regeln, die sich Josef Friedrich Schmidt 1907 in seiner Wohnung überlegt hatte. Nach den Originalregeln stehen alle Figuren bereits am Startfeld, es ist nicht nötig, erst eine Sechs zu würfeln. Trotzdem kommt es bei dem Spiel aufs Würfelglück an. Profis spielen natürlich auch mit Taktik – deshalb gibt es sogar Meisterschaften im „Mensch ärgere dich nicht“-Spielen. Und Weltrekorde.
Rekordhalter ist aktuell die Stadt Amberg. Vergangenen Sommer spielten dort 2117 Menschen gleichzeitig – damit knackten sie den Rekord, den die thüringische Stadt Weida vor drei Jahren aufgestellt hatte. „Josef Friedrich Schmidt war ja ein Amberger“, sagt Ingrid Strobl vom Stadtmuseum. „Ihm zu Ehren haben wir den Rekordversuch gewagt.“ Aber es sollte nicht bei dieser einen Würdigung bleiben. Im Stadtmuseum ist seit 2019 eine „Mensch ärgere dich nicht“- Dauerausstellung zu sehen, die nach wie vor Einheimische und Gäste anlockt. Dort wird die Geschichte des Spiels von den Anfängen bis heute nachgezeichnet. Zu sehen sind viele Originalspiele, aber auch Vorläufer und Nachahmungen.
Das hätte Josef Friedrich Schmidt vermutlich gefallen. Aus dem Versuch, einen Zeitvertreib für seine Söhne zu schaffen, ist ein Spiel geworden, dass generationenübergreifend geliebt und gelegentlich auch verflucht wurde. Ein Spiel mit großen Emotionen eben. (mit dpa)