KOLUMNE

VON SUSANNE BREIT-KESSLER Ein kleines Glück

von Redaktion

42 Jahre ist es her, da hat es Salvatore Adamo mit dem ironischen Liedchen „Ein kleines Glück“ in die Top 10 der deutschen Charts gebracht. Der Song des Belgiers, der auf Sizilien geboren wurde, handelt von einer Romanze, die zu Ende geht, weil die Angeschmachtete dauernd diese Zeilen singt und dabei auch von einer großen Kinderschar träumt: „Ein kleines Glück wird einmal groß. Wenn du nur warten kannst, dann fällt es auch in deinen Schoß.“

Selbstverständlich fand ich dieses Lied albern. Zur selben Zeit sangen die Moody Blues von schwülstigen „Nights in White Satin“, Elton John jagte den unverwüstlichen „Rocket Man“ los und die grandiose Roberta Flack erklärte ihr großes Glück mit „The first Time ever I saw your Face“. Was sollte ich da als langhaarige Gymnasiastin mit dem kleinen Chansonnier und seinem schlichten Gesinge? Erschwerend kam dazu, dass es meinen Eltern gefiel.

Ich werde den hartnäckigen Ohrwurm nie mögen. Aber das „Kleine Glück“ ist mir zugegebenermaßen näher als je zuvor – gerade in Zeiten, in denen es einem schwerfällt, beschwingt zu sein. Die Weltlage gibt zu Frohsinn wenig Anlass – deshalb also Augen auf für das kleine Glück, das manchmal ganz schön groß ist. Unseres besteht daraus, dass wir auf dem Balkon Eichhörnchen haben. Also nicht wir haben sie, sie haben uns.

Wir stellen für sie täglich frisches Wasser in sauberen Haferln bereit. Dazu gibt es Haselnüsse, Erdnusskerne und Biomöhren verzehrfertig. Kürzlich versäumte ich, das Tellerchen mit den Rüben nachzufüllen. Das schwarz-weiße Hörnchen namens Theodor suchte empört den Balkontisch ab, setzte sich auf die Lehne des Sessels und wirkte wie Zappel-Philipps Mutter: „Und die Mutter blickte stumm auf dem ganzen Tisch herum.“

Dann verschwand er übellaunig. Gerade wollte ich frisch geraspelte Möhrchen hinaustragen, da kam Lucinda, die Eichhörnchendame in Rehbraun. Ich öffnete die Balkontür. Normalerweise flitzen die Hörnchen schüchtern davon. Ich flötete zart, dass ich nur kurz etwas servieren wolle, und nannte säuselnd ihren Namen. Sie verschwand vom Tisch, setzte sich unter den Sessel und sprang wieder hinauf, als ich mich zurückzog.

Die junge Dame putzte gleich mal acht Möhrenstücke weg. Was soll ich sagen? Ein kleines, großes Glück, nicht nur Fresslust zu erleben, sondern auch vorsichtig aufkeimendes Vertrauen. Sollte das nächste Mal Adamos Lied gespielt werden, lächle ich nicht süffisant. Ich freue mich, dass wir mit großem und kleinem Glück beschenkt sind – und unsere Eichhörnchen uns nicht verlassen.

Bitte? Ich bin kitschiger als der Belgier? Na und…

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