Der Architekt seiner eigenen Lügen

von Redaktion

Dokumentation Obersalzberg zeigt Wanderausstellung zu Hitler-Vertrautem Albert Speer

Berchtesgaden – Die neue Sonderausstellung des Dokumentationszentrums Obersalzberg zerpflückt die Legende vom noblen Nazi: „Albert Speer in der Bundesrepublik. Vom Umgang mit deutscher Vergangenheit“ beleuchtet die Lügen des Lieblingsarchitekten Adolf Hitlers in allen Facetten.

Bis zu seinem Tod 1981 hatte der Rüstungsminister behauptet, nichts von den NS-Verbrechen gewusst zu haben. Zugleich war Speer unter anderem an der Vertreibung mehrerer tausend Juden aus ihren Berliner Wohnungen und an der Planung des Vernichtungslagers Auschwitz beteiligt. Im Mittelpunkt der Ausstellung steht die Frage, weshalb die Legende Speers in Deutschland lange auf so große Resonanz stieß.

Magnus Brechtken, stellvertretender Direktor beim Institut für Zeitgeschichte in München, rückte als erster Historiker Albert Speers Lebenslegende und deren Rezeption in der Nachkriegsepoche ins richtige Licht. Seine biografische Studie zeigt Speers manipulative Darstellungen. Der Architekt gab nach dem Krieg unzählige Interviews und wurde so „zu einem der am häufigsten zitierten Zeitzeugen des 20. Jahrhunderts“, so Brechtken.

Die Ausstellung feierte bereits in mehreren deutschen Städten große Erfolge: „Zehntausende Besucher erschienen“, sagt Kurator Alexander Schmidt vom Dokumentationszentrum Reichsparteitagsgelände der Stadt Nürnberg. Auch weitere Orte haben Interesse bekundet. Bis 15. September ist die Schau nun in Berchtesgaden zu sehen, Speers ehemaligem Hauptwohnsitz im sogenannten Führersperrgebiet.

Ein halbes Jahr nach Eröffnung der Dauerausstellung „Idyll und Verbrechen“ am Obersalzberg legen die Verantwortlichen mit Speers gelebter Lüge nun nach. Kurator Schmidt betont, man müsse „Speers Fake News historische Tatsachen gegenüberstellen“. Speer hatte sich nach den Nürnberger Prozessen und seiner Haftentlassung 1966 als reumütiger Zeitzeuge präsentiert. Für ihn war der Obersalzberg ein hochpolitischer Ort: Er agierte als Machtpolitiker in direkter Nähe zu Hitler, ab 1938 hatte er hier seinen ständigen Wohnsitz.

Nach Kriegsende wollte Speer von seinem machtpolitischen Einfluss nichts mehr wissen. Über Jahrzehnte pflegte er ein enges Verhältnis zu Medienvertretern, die ihm seine Geschichten abkauften. Klar ist heute: Speer instrumentalisierte „Journalisten, Publizisten wie Historiker durch seine vermeintliche Authentizität und sein charismatisches Auftreten“.

Laut Brechtken hat auch der deutsche bereits verstorbene Historiker Joachim Fest zur Verbreitung von Speers Fake-Leben beigetragen. In Speers Memoiren, die sich millionenfach verkauften – „und noch heute in vielen Bücherregalen stehen“, wie Schmidt sagt – zeichnete er ein Bild eines einflusslosen Architekten, der aber als „geläuterter Zeitzeuge“ zum Medienstar aufrückte.

„Ihm gelang es, sein Bild in die Köpfe der Menschen zu tragen“, sagt Alexander Schmidt. Unverschuldet sei er in den Krieg geraten, die Nähe Hitlers bezeichnete er in Interviews als hinderlich. Gleichzeitig schuf er ein Bild des Obersalzbergs als unbelasteten Ferienort. Jahrzehntelang prägte dieses Zerrbild das kollektive Gedächtnis der Bevölkerung.

Die Aufarbeitung aus wissenschaftlicher Sicht startete spät: Brechtken veröffentlichte sein Werk über Albert Speer 2017, nachdem ein Hobby-Historiker den Mythos in den 1980er-Jahren entlarvt hatte. Die unkritische Speer-Geschichte hätte so nie verbreitet werden dürfen, sagen Historiker. Als Rüstungsminister tat Speer alles, um den Krieg zu verlängern. Er propagierte den Endsieg, kündigte Wunderwaffen an. Er war einflussreicher Kriegstreiber, ein Lieblingsnazi der Deutschen – auch nach 1945. KILIAN PFEIFFER

Sonderausstellung

bis 15. September, täglich von 9 bis 17 Uhr, Eintritt: 3 Euro; obersalzberg.de

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