München – Anderthalb Jahre sind es noch bis zur nächsten Bundestagswahl, für zwei Parteien geht es aber schon in diesen Tagen um die Wurst. Denn in Karlsruhe startet heute die mündliche Verhandlung über das neue Wahlrecht, das die Berliner Ampel-Koalition vergangenes Jahr durchgesetzt hatte. Es soll den aufgeblähten Bundestag verkleinern – geht aber womöglich auf Kosten von Linkspartei und CSU.
Insgesamt verhandeln die Richter in den kommenden zwei Tagen über sieben Verfahren. Angestrengt wurden sie von CSU und Linke, den entsprechenden Fraktionen, der bayerischen Staatsregierung, Linken-Bundestagsabgeordneten und mehr als 4000 Privatpersonen. (Az. 2 BvF 1/23 u.a.) Sie alle hoffen, das neue Wahlrecht noch stoppen zu können.
Die Union hält es gleich aus mehreren Gründen für verfassungswidrig, wie CSU-Chef Markus Söder am Montag bekräftigte. Es gehe um die Zuteilung der Wahlkreise und die Abschaffung der sogenannten Grundmandatsklausel, sagte er in München. Nach dieser Klausel reichen bisher drei Direktmandate auch bei weniger als fünf Prozent Zweitstimmenergebnis für den Einzug in den Bundestag aus. „Wir haben da eine klare Position“, sagte Söder. Bei der mündlichen Verhandlung in Karlsruhe werde diese von CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt und dem bayerischen Innenminister Joachim Herrmann vertreten.
„Danach wird man dann sehen, welches Urteil daraus zu erwarten ist.“ Unabhängig davon betonte er: Die CSU werde alles dafür tun, auch im nächsten Bundestag nicht nur wieder vertreten zu sein, sondern deutlich über fünf Prozent zu kommen. „Aktuell wären wir bei sieben“, sagte er und fügte hinzu: „Alle, die sich da Sorgen machen: Man muss sich keine Sorgen machen.“ Spekulationen, die CSU könnte notfalls eine formale Listenverbindung mit der CDU eingehen, hält Söder für fehl am Platz. Das gehe verfassungsrechtlich nicht.
Im vergangenen Juni hatte der Bundestag gegen den Widerstand von Union und Linkspartei das neue Wahlrecht beschlossen. Die Reform zielt auf eine Verkleinerung des Bundestags auf 630 Abgeordnete ab – aktuell sind es 736. Für die Zahl der Sitze einer Partei ist künftig allein ihr Zweitstimmenergebnis entscheidend; Überhang- und Ausgleichsmandate, die bisher zur Vergrößerung des Bundestags geführt hatten, fallen weg. Die Folge kann sein, dass erfolgreiche Wahlkreisbewerber ihr Direktmandat nicht bekommen.
Besonders gewichtig ist der Wegfall der Grundmandatsklausel. Für die nur in Bayern wählbare CSU könnte das neue Wahlrecht letztlich zur Folge haben, dass sie bei einem bundesweiten Ergebnis unter fünf Prozent nicht mehr im Bundestag wäre. Bei der Wahl 2021 kam sie bundesweit auf 5,2 Prozent, lag also nur knapp über der entscheidenden Hürde.
Die Debatte über die Reform war äußerst hitzig verlaufen. Unter anderem Alexander Dobrindt warf der Ampel-Koalition „Wahlrechtsmanipulation“ vor, die Neuregelung sei in Wirklichkeit ein „Respektlos-Gesetz“. Auch die Linke zürnte. Jan Korte, bis zu ihrer Auflösung Parlamentarischer Geschäftsführer der Links-Fraktion, sagte, die drei Ampel-Parteien hätten sich „ein Wahlrecht gestrickt, von dem nur sie selbst profitieren. So etwas kennen wir von Orbán oder Kaczynski.“
In Karlsruhe geht es um die mögliche Verletzungen der Wahlrechtsgleichheit und des Rechts auf Chancengleichheit der Parteien. Ein Urteil wird am Dienstag oder Mittwoch noch nicht erwartet. Es fällt erfahrungsgemäß einige Monate nach der mündlichen Verhandlung.