„Für mich werden Barrieren abgebaut“

von Redaktion

INTERVIEW Heike Heubach ist die erste taube Abgeordnete im Bundestag

Heike Heubach aus Stadtbergen bei Augsburg ist vor Kurzem für die SPD in den Bundestag nachgerückt. Die 44-Jährige ist die erste gehörlose Abgeordnete. Sie hat zwei Dolmetscher an ihrer Seite, um in den Debatten mitdiskutieren zu können. Auch für das Interview in ihrem Büro in Augsburg hat sie Dolmetscher per Video zugeschaltet. Sie will dafür kämpfen, dass diese Teilhabe für alle selbstverständlich wird.

Der Name, mit dem Sie in Gebärdensprache bezeichnet werden, ist „Lächeln“. Passt dieses Image zu Ihrer Arbeit im Bundestag, wo hitzig diskutiert wird?

Bis jetzt passt es gut. Ich wurde im Bundestag sehr herzlich aufgenommen, es gab noch keinen Grund, mein Lächeln zu verlieren. Das heißt aber nicht, dass ich ernste Themen nicht ernst nehme.

Die Bundestagspräsidentin sagte an Ihrem ersten Tag, der Bundestag schreibe Geschichte – weil Sie die erste gehörlose Abgeordnete sind. Stört es Sie, dass Ihre Gehörlosigkeit immer ein Thema ist?

Ich habe damit gerechnet, dass es am Anfang so sein wird. Viele möchten wissen, wie die Kommunikation funktioniert. Deshalb war klar, dass ich erst mal viel Aufmerksamkeit bekomme. Aber auf Dauer möchte ich, dass es um mich als Mensch und um meine Politik geht.

Sie sind erst vor fünf Jahren in SPD eingetreten. Das war eine politische Blitzkarriere…

Mein Plan war nie, politisch Karriere zu machen. Ich kannte damals den Fraktionsvorsitzenden in Stadtbergen. Vor der Kommunalwahl fragte er mich, ob ich Lust hätte, für den Stadtrat zu kandidieren. Ich fand es spannend, politische Luft zu schnuppern. Und hinter den Werten der SPD stand ich. Deshalb bin ich eingetreten.

Im Kommunalwahlkampf sind Sie von Tür zu Tür gegangen, um sich vorzustellen. Gab es Skepsis, ob Gehörlosigkeit und Politik zusammenpassen?

Mir war egal, ob andere sich fragen, ob das funktioniert. Wichtig war mir, zu zeigen, dass ich das kann. Ich hatte im Wahlkampf keine Dolmetscher, dafür gab es kein Budget. Also habe ich ein Video von mir aufgenommen und vertonen lassen. Wir haben diese Hausbesuche immer zu zweit gemacht, ich wurde vorgestellt, dann habe ich das Video gezeigt, in dem ich erkläre, warum ich kandidiere. Natürlich passiert es auch, dass man mal die Tür vor der Nase zugeschlagen bekommt. Aber meistens waren die Menschen interessiert.

Mit dem Stadtrat hat es damals nicht geklappt, dafür aber als Nachrückerin für den Bundestag…

Seitdem ist mein Alltag ganz schön auf den Kopf gestellt. Ich war vorher viel im Homeoffice, mein Job hat mir großen Spaß gemacht. Durch den Einzug in den Bundestag habe ich nun einen vollen Terminkalender und pendle ständig zwischen Berlin und Augsburg hin und her. Aber es macht Spaß. Ich lerne so viele neue Menschen und Themen kennen, das ist gerade alles sehr aufregend.

Im Gegensatz zum Bundestag werden in den meisten Sitzungen auf kommunaler oder Landesebene keine Debatten in Gebärdensprache übersetzt. Wie schwer ist politische Teilhabe für Gehörlose?

Der Bundestag ist für mich größtenteils barrierefrei. Die Bundestagsverwaltung versucht, mögliche Barrieren abzubauen. Mir wurde versichert, dass sie alles dafür tun, damit ich mein Mandat ebenso ausüben kann wie andere Abgeordnete. Aber in anderen politischen Bereichen muss dafür noch immer gekämpft werden. Wir müssen es schaffen, dass endlich alle Menschen teilhaben können – so wie es in der UN-Behindertenrechtskonvention steht. Ich wünsche mir, dass durch meine Sichtbarkeit als gehörlose Abgeordnete mehr Bewusstsein dafür entsteht.

In welchen Lebensbereichen wird Teilhabe zu wenig mitgedacht?

Es gibt so viele Beispiele. Letztes Jahr wollte ich an einem Seminar teilnehmen. Ein hörender Mensch wählt ein Seminar, meldet sich an und geht hin. Ich muss erst nach Dolmetschern fragen, klären, wer die Kosten übernimmt, darüber gibt es meistens eine Diskussion mit den Ämtern. Dann muss ich Dolmetscher finden, die Zeit haben. Erst wenn das alles gelingt, kann ich mich anmelden. Und nach dem Seminar muss ich mich darum kümmern, dass die Dolmetscher bezahlt werden. Theoretisch habe ich denselben Zugang wie Hörende – tatsächlich habe ich aber viel mehr Aufwand, um teilnehmen zu können. Dolmetscher müssten selbstverständlich verfügbar sein. Erst dann kann man wirklich von Barrierefreiheit sprechen.

In Bayern hat der Landtag ein monatliches Gehörlosengeld als Unterstützung abgelehnt. Es gibt nur eine Einmalzahlung von 145 Euro. Ist das eine Hilfe?

Das Gehörlosengeld soll eine Entschädigung sein, Alltags-Barrieren auszugleichen. Für die Bezahlung von Dolmetschern würde es nicht reichen. Ich befürchte, wenn dieses Geld gezahlt würde, wäre das mit der Aufforderung an Gehörlose verbunden, sich selbst zu kümmern. Den Fokus auf Teilhabe finde ich viel wichtiger. Dolmetscher müssen selbstverständlich eingesetzt werden.

Im Bundestag haben Sie zwei Dolmetscher. Übersetzen sie wörtlich für Sie oder sinngemäß?

Eine wörtliche Übersetzung funktioniert in der Gebärdensprache nicht. Das Dolmetschen bedeutet, den Kern einer Aussage zu erfassen und ihn sprachlich und kulturell an die andere Sprache anzupassen. Es gibt natürlich Lautsprache begleitende Gebärden, bei denen buchstabiert wird. Aber eine Eins-zu-eins-Übersetzung funktioniert nicht. Ich habe zwei Dolmetscher, weil einer für mich die Redebeiträge übersetzt und einer parallel die hörbaren Zwischenrufe.

Haben Sie im Bundestag schon Ihren ersten Redebeitrag gehalten?

Nein – aber der Eindruck ist entstanden. Vor meiner ersten Parlamentssitzung durfte ich mit meinen Dolmetschern in den Saal gehen, um zu schauen, wie wir uns am besten positionieren. Das war nur eine Stellprobe, es wurde aber gefilmt. Sofort verbreitete sich die Nachricht, ich hätte schon meine erste Rede gehalten. Wann das so weit sein wird, weiß ich noch nicht.

Interview: Katrin Woitsch

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