Bamberg – Sie kamen im 300-PS-Audi, schoben mit dem Pizzaschieber Semtex ins Geldausgabefach und entnahmen den aufgesprengten Geldautomaten im ganzen Bundesgebiet mindestens 3,3 Millionen Euro: Eine niederländische Panzerknacker-Bande muss sich seit gestern vor dem Landgericht Bamberg verantworten. Der Riesen-Prozess mit 16 Angeklagten ist wohl das größte Bankraub-2.0-Verfahren aller Zeiten.
Die zumeist aus Marokko und Afghanistan stammenden Männer (23 bis 42 Jahre alt) sollen allein in Bayern reihenweise zugeschlagen haben, unter anderem in Töging am Inn (4.11.22), Anzing (29.11.22), Odelzhausen (29.12.22). Wenige Tage vor ihrer Verhaftung am 30. Januar 2023 im niederländischen Utrecht und Limburg tauchten sie mit geklauten Kennzeichen an ihrem RS6 an der Sparkasse Erkheim auf – doch diesmal hatten die Verantwortlichen gelernt und die gesamte Beute von 76 830 Euro mit Tinte besudelt.
Angesichts drohender Haftstrafen fürs Herbeiführen einer Sprengstoffexplosion und für bandenmäßigen Diebstahl von bis zu zehn Jahren gibt es für die gelernten Kfz-Mechaniker, Logistiker oder Pfleger eigentlich wenig zu lachen: Doch dafür präsentierten sich die Angeklagten am Donnerstag erstaunlich locker und frech. Ab 8.45 Uhr wurden sie in der ehemaligen Kennedy-Sporthalle auf dem Bundespolizei-Gelände in Bamberg vorgeführt, weil kein Saal des Landgerichts allen Prozessbeteiligten Platz geboten hätte. Einer der Angeklagten zog sich die Notebook-Tasche seines Anwalts über den Kopf, der nächste schickte Küsschen und Daumen-hoch-Gesten zu seinen Angehörigen auf der Tribüne. Ein anderer zeigte den Fotografen die Mittelfinger.
Seit dem „Action Day“ vor einem Jahr sind sie auf Justizvollzugsanstalten in ganz Bayern verteilt und haben nun mitsamt 32 Verteidigern und Dolmetschern 73 Verhandlungstage bis zum 20. Dezember vor sich – ein Mammut-Verfahren bisher ungekannten Ausmaßes für die bayerische Justiz. Doch gleich am ersten Tag geriet der Prozess ins Stocken, weil den Anwälten erst am Morgen neue Akten zugegangen waren. Weitere neun Terrabyte Beweismittel kündigte Richter Markus Reznik an. So wird Oberstaatsanwältin Ursula Redler wohl erst im nächsten Termin die beiden Anklagen verlesen können.
Spannend dürfte in der Beweisaufnahme werden, wie die Ermittler vom bayerischen und baden-württembergischen LKA die Taten den Angeklagten zuordnen wollen – denn auf den Überwachungsvideos und Handy-Bildern von Anwohnern sind sie ausnahmslos vermummt. Der Münchner Kriminaloberrat Jürgen Harle verriet aber vorab bereits in einer ARD-Doku, wie die Polizei vorgegangen ist: „Die Videoüberwachung liefert unheimlich wertvolles Material, weil man da im Laufe der Zeit Personen erkennt, bestimmte immer wiederkehrende Muster im Verhalten bis hin zur Größe einer Person, der Statur, die immer wieder auffällt.“
Weitere Indizien lieferte die Bekleidung, die anhand der Etiketten als niederländischen Ursprungs identifiziert werden konnte. In den sozial schwachen Stadtteilen von Utrecht und Roermond rekrutiert auch die Mocro-Mafia ihren Sprenger-Nachwuchs, hier wurde offenbar sogar eine eigene Spreng-Schule betrieben – mit ausrangierten Automaten, die in Deutschland bestellt wurden.
Trotz des Bamberger Prozesses geht das Geschäft für die Mafia weiter: Im vergangenen Jahr wurden 461 Sprengungen registriert, erst Anfang dieser Woche schlugen Täter in einer Nacht zweimal in Unterfranken zu.