Rosen zu Pfingsten: Lea Warmedinger bekommt drei Blumen überreicht. © Marcus Schlaf
Erding – Ich steige aus der Hüpfburg und zieh mir meine Schuhe wieder an. Das macht keinen Spaß, wenn ich ständig aufpassen muss, dass der Dirndlrock nicht hochfliegt. Außerdem ist mir ein bisschen schwindelig. Aber das liegt vielleicht auch am Schnaps. Im Vorbeigehen drückt mir ein Bursch in Lederhose eine bunte Stoffrose am matschgrünen Plastik-Stängel in die Hand. An einer Schießbude auf dem Volksfest hätte ich mich über diese Geste gefreut, jetzt lächle ich nur gezwungen, wahrscheinlich auch etwas verdattert. Was ist denn aus der schönen Tradition geworden?
Eigentlich sollten wir Mädels von den jungen Männern heute Pfingstrosen bekommen – echte und duftende. So war das schon früher. Das Pfingstrosen-Sammeln hat in Bayern nämlich eine lange Tradition. Das weiß ich aus Erzählungen von älteren Generationen, denn sogar Google kann mir nicht viel darüber sagen. Junge Frauen zogen damals von Haus zu Haus, um bei unverheirateten Burschen Pfingstrosen zu erbitten und gemeinsam Schnaps zu trinken. So sollten Singles zusammenkommen – ein Tinder auf dem Dorf sozusagen.
Früher ging es ums Verkuppeln, heute geht‘s um die Gaudi
Schon seit einigen Jahren feiert die Tradition ihr erfolgreiches Comeback, allerdings in einer fetzigeren Version. Heute geht es uns 20-jährigen Mädels nicht mehr darum, einen Ehemann zu finden, sondern um die Gaudi – und die Blumen und den Schnaps natürlich. Wobei auch bei uns schon einige Sammlerinnen ihren Pfingstrosenkavalier dabei getroffen haben.
Aufgebrezelt mit Dirndl, Stöckelschuhen und Sonnenbrille treffe ich mich mit den Mädels an einem Parkplatz, bevor es um 2 Uhr losgeht. Schließlich müssen wir uns noch eine Route durch den Erdinger Landkreis überlegen, auf der wir dann der Reihe nach alle Stationen abfahren, also die Treffpunkte bei den Jungs-Gruppen.
Zusammen füllen wir drei Autos. „Heiid is a scheena Dooog“, plärrt Stefan Dettl aus den Lautsprechern, als wir über flimmernden Teer auf den buckeligen Straßen durch die Dörfer gurken. Bis auf die musikalische Einstimmung auf den geselligen Nachmittag ist es still im Auto vor Spannung, was uns heute erwartet.
Die Einladungen haben wir von Bekannten aus der Schule, vom Dorf oder vom Furtgehen über WhatsApp geschickt bekommen. Solche, die aus dem Pfingstrosen-Sammeln ein richtiges Fest machen wollen, posten ihre Einladung auf Instagram. Die liebsten Stationen sind mir aber die ruhigeren, wo ich mich mit meinen Freunden unterhalten kann und es zum Abschied eine Blume gibt.
Wie in Isen. Da trinken wir auf der Terrasse einer Holzhütte selbst gemachten Likör, um uns herum ein blühender Garten. Einer unserer Spezln bietet uns sogar Pizzabrötchen an, die er vorbereitet, aber noch nicht in den Ofen geschoben hat. Aber das ist uns egal, wir essen sie einfach roh. Schmecken tun sie genauso. Noch viel mehr freuen wir uns über die Blumen, die uns die Isener gleich in Sträußen mitgeben, weil sie so viele gekauft haben. Bevor es weitergeht, stecken wir sie in unsere geköpften und mit Wasser gefüllten Plastikflaschen, die sich im Auto inzwischen ganz schön aufgewärmt haben.
„Wir haben leider nicht so viele, sonst hätt mich die Mama zamgeschissen“, entschuldigt sich ein Bekannter an der nächsten Station zehn Kilometer weiter. Er hat für die Pfingstrosen nämlich ihr Beet geplündert. Seine Spezln grillen derweil Fleisch für Steaksemmeln, andere springen mit dem Bierbauch voraus ins aufgeblasene Baby-Planschbecken.
Wieder an anderen Stationen steht ein historischer Eicher-Bulldog als Motiv für Gruppenbilder und eine hölzerne Hollywood-Schaukel mit der Aufschrift „Single-Couch“ – die Burschen legen sich ganz schön ins Zeug, um uns anständig zu bewirten und zu unterhalten. Diesen Part übernehmen wir Mädels dafür beim Oa-Karran an Ostern und dem traditionellen Steffe-Schnapsln am Stefanitag, dem 26. Dezember.
An der Endstation wartet ein buntes Pfingstwunder
Auch das Oa-Karran war ursprünglich so was wie eine Brautschau. Nur, dass es statt Blumen gefärbte Eier gibt. Und die Farben der gekochten Eier, die die jungen Frauen den Männern mitgeben, sagen der Tradition nach aus, was sie von ihnen halten. Das Pfingstrosen-Sammeln ist mir aber der liebste der drei Tage, denn da ist das Wetter schon schön sommerlich – meistens jedenfalls.
Bei unserer fünften Station in der Nähe von Dorfen tut sich auf einmal ein gewaltiges Unwetter auf. Der Regen prasselt aufs Dach des Party-Häuschens unserer Freunde. Nachdem wir feststellen, dass sich der Schauer nicht so schnell verziehen wird, machen wir uns wieder auf den Weg. Doch als wir mit unserem kleinen Auto durch eine kniehoch unter Wasser stehende Ortschaft fahren müssen, entscheiden wir, die vorletzte Station auszulassen. Eine gute Entscheidung.
Eine Stunde später trifft nämlich der Rest der Gruppe ein. Im durchnässten Dirndl und mit schlammigen Schuhen in der Hand erzählen sie uns, dass ein Blitz in die dortige Hütte eingeschlagen hat und ihr Auto im Graben stecken geblieben ist. Aber kurz darauf beschert uns der Heilige Geist an unserer Endstation in St. Wolfgang dann doch noch sein Pfingstwunder: Die Sonne kommt wieder heraus und malt einen Regenbogen auf den rosaroten Abendhimmel.
Trotzdem bin ich froh und auch völlig erschöpft, als ich endlich daheim bin. Die Plastikrose werfe ich in den Müll und damit auch die Erinnerung an die Hüpfburg, die zum Glück ja nur eine Ausnahme war. Meine echte Ausbeute stelle ich in eine Vase. Schnell verbreitet sich der angenehme Duft der Pfingstrosen im Zimmer. Wie ich es liebe, wenn so schöne Traditionen neu aufblühen.