INTERVIEW

Petition für gerechtere Pflege

von Redaktion

Almut Barnstedt will Angehörigen helfen – Unterschriften fehlen

Sie hatten eine enge Beziehung: Almut Barnstedt mit ihrer inzwischen verstorbenen Mutter. © Privat

Straubing – Die Straubingerin Almut Barnstedt hat ein Jahr ihre kranke Mutter zu Hause gepflegt – und ist fast daran gescheitert, das Pflegesystem zu verstehen. Ihre Mutter ist vor Kurzem gestorben. Barnstedt hat eine Petition für eine gerechtere und einfachere Pflegeversicherung gestartet (im Internet zu finden unter https://chng.it/6MnqYhNVtb oder wenn man in die Suchmaschine die Worte Petition, Pflege und Barnstedt eingibt). Über 32 700 Unterschriften hat sie bereits. Wenn sie bis Freitag 50 000 Unterstützer hat, darf sie im Petitionsausschuss des Bundestags vorsprechen.

Wann haben Sie sich erstmals intensiv mit dem Thema Pflege beschäftigt?

Als meine Mutter krank wurde, mussten wir uns damit beschäftigen, um Leistungen zu erhalten. Sie war ein Jahr lang ein Pflegefall, bevor sie gestorben ist.

Sie fordern Vereinfachungen im Pflegesystem. In welchen Situationen sind Sie an Ihre Grenzen gekommen?

Es ist in unserem System nicht so, dass man automatisch alle Hilfen bekommt, die es gibt. Es gibt einen bestimmten Betrag für den festgelegten Pflegegrad. Diese Summe wird durch Extraleistungen aufgepolstert. Zum Beispiel kann man kostenlos einen Treppenlift bekommen. Aber man muss von diesen Hilfen wissen und sie alle einzeln beantragen. Ein Wahnsinn! Ich weiß bis heute nicht, ob ich alle Hilfen gefunden habe, auf die wir Anspruch gehabt hätten.

Eigentlich sollten Betroffene in den Pflegestützpunkten die Beratung bekommen, die sie brauchen. War das bei Ihnen nicht so?

Ist es nicht irre, dass unser Pflegesystem so kompliziert ist, dass wir einen eigenen Berufsstand brauchen, um es zu klären? Ich dachte, als Versicherungsmaklerin werde ich mir das schon erarbeiten können. Aber in der Praxis ist eben nicht alles so wie in der Theorie. Es gibt zum Beispiel monatlich 125 Euro Entlastungsleistung, zum Beispiel für Haushaltshilfen. Die konnte ich nicht einmal in Anspruch nehmen, weil es in unserer Region keine Angebote gab. Pflegestützpunkte können nur erklären, welche Leistungen es gibt. Aber sie können nicht helfen, wenn die Kapazitäten fehlen.

Haben Sie über einen Pflegeheimplatz für Ihre Mutter nachgedacht?

Ich habe einmal in einem Heim in Straubing angerufen. Dort sagte man mir, ich könne mich in einem halben Jahr wieder melden – für einen Platz auf der Warteliste. Meine Mutter war sehr krank, es war völlig klar, dass wir nicht so viel Zeit haben. Wir hatten zum Glück die Möglichkeit, sie bei uns zu Hause zu pflegen. Ich bin selbstständig und arbeite viel von zu Hause aus. Meine vier Kinder haben sehr mitgeholfen, sodass meine Mutter nie allein war. Ich hatte großes Glück und habe einen Pflegedienst gefunden, der einmal am Tag kam. Aber ich weiß von Familien, die auch dort auf Wartelisten gelandet sind.

Sie bezeichnen das Pflegesystem als ungerecht. Wieso?

Nicht alle Familien haben die Voraussetzungen, die wir hatten. Es gibt ja nur drei Möglichkeiten: ein Heim, ein ambulanter Pflegedienst oder eine 24-Stunden-Kraft für die Pflege zu Hause. Wenn es für die ersten beiden Optionen nur Wartelisten gibt, bleibt nur die 24-Stunden-Pflege. Sie ist im System aber gar nicht vorgesehen. Um sie zu nutzen, muss man sich als Angehöriger das Pflegegeld auszahlen lassen, um es an die Kraft weitergeben zu können. Ich verstehe nicht, dass es so kompliziert ist. Denn das ist die Lösung, die viele Familien rettet.

Sie kritisieren auch, dass die finanziellen Hilfen unterschiedlich hoch sind.

Ich finde das völlig unlogisch. Pflegende Angehörige bekommen in der Regel ein Drittel von dem Betrag, der für die Pflege im Heim bezahlt wird. Damit soll die Kasse wohl geschont werden, schließlich werden vier von fünf Pflegebedürftigen zu Hause gepflegt. Aber der Unterschied ist schon gravierend. Bei Pflegegrad 3 gibt es für die häusliche Pflege 573 Euro Unterstützung, für einen Heimplatz 1262 Euro. Es wäre doch viel sinnvoller, wenn alle Familien einen fixen Betrag bekommen – egal, wie sie die Pflege organisieren. Schließlich wollen die meisten Menschen doch zu Hause gepflegt werden.

Wann haben Sie entschieden, eine Petition zu starten?

Nach dem Tod meiner Mutter. Denn die Toten haben keine Stimme mehr. Und pflegende Angehörige meist keine Kraft dafür. Viele denken vielleicht auch, sie seien zu alt um das System zu verstehen. Aber ich bin vom Fach und verstehe es auch nicht.

Welche Reaktionen haben sie auf die Petition bekommen?

Schon in der ersten Woche hatte ich über 30 000 Unterschriften zusammen. Damit hatte ich nicht gerechnet. Wenn ich die vielen Kommentare lese, habe ich das Gefühl, dass ich einen Nerv getroffen habe. Ich brauche bis Mitte nächster Woche insgesamt 50 000 Stimmen, um eine Anhörung im Petitionsausschuss des Bundestags zu bekommen. Wenn das nicht gelingt, gilt die Petition trotzdem, sie bekommt nur weniger Aufmerksamkeit. Aber ich werde nicht aufgeben. Bei dem demografischen Wandel, der auf uns zukommt, ist es doch ein Wahnsinn, dass jetzt schon alle Pflegekapazitäten erschöpft sind. Wir brauchen schnell eine Lösung.

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