Gemeinsame Trauer: Gottesdienst am ersten Jahrestag des Unglücks im vergangenen Juni. © Warmuth/dpa
Abtransport: Ein Waggonteil wird nach dem Unglück zu einem nahe gelegenen Kieswerk gebracht. © Warmuth/dpa
Fünf Tote und 78 teils schwer verletzte Fahrgäste: Das war die traurige Bilanz nach dem Zugunglück von Burgrain von vor zwei Jahren. © Hornsteiner
Garmisch-Partenkirchen – Die Bilder sind für Elisabeth Koch bis heute präsent. „Ich weiß noch jede Minute. Es hat sich bei mir ganz schwer eingebrannt“, sagt die Bürgermeisterin von Garmisch-Partenkirchen. Die CSU-Politikerin war bei einer Hochzeit, als am Mittag des 3. Juni 2022 der Alarm kam: ein Zugunglück im Gemeindeteil Burgrain.
Zu diesem Zeitpunkt ist nicht klar, was geschehen ist. Koch eilt zum Unglücksort. Ein Regionalzug Richtung München ist entgleist, Verletzte werden geborgen, unklar ist die Zahl der Todesopfer. Fünf werden es am Ende sein, vier Frauen und ein 13-Jähriger. 78 Menschen sind teils schwer verletzt.
„Es war ein Unglück, das so viel menschliches Leid hervorgebracht hat“, sagt Koch. Es müsse nun restlos aufgeklärt werden, wie es dazu kommen konnte. „War es vorhersehbar – oder war es ein Zufall?“
Zwei Jahre später ist die Aufarbeitung allerdings keineswegs abgeschlossen. Die Bundesstelle für Eisenbahnunfalluntersuchung (BEU) hat bisher nur einen Zwischenbericht vorgelegt und darin beschädigte Betonschwellen als Hauptursache des Unglücks genannt.
Auch die Bahn sieht das so. Allein im vergangenen Jahr habe die Bahn rund eine halbe Million Schwellen ausgetauscht, etwa fünfmal mehr als üblich, sagt eine Sprecherin. Dieses Jahr sei ein Austausch in vergleichbarer Größenordnung geplant. Zusätzliche materialtechnische Untersuchungen hätten teilweise Unregelmäßigkeiten in der Materialbeschaffenheit der Schwellen gezeigt. Eine bestimmte Gesteinsart, die zur Produktion der Betonschwellen genutzt wurde, könnte demnach mitursächlich für die Schäden sein. Nun gelten strengere Kriterien zur Klassifizierung schadhafter Schwellen, für deren Herstellung die gleiche Gesteinsart verwendet wurde.
Offen ist, ob es strafrechtlich Verantwortliche gibt. Im Dezember 2023 hatte die Staatsanwaltschaft München II Anklage gegen drei Bahnmitarbeiter wegen fahrlässiger Tötung und fahrlässiger Körperverletzung erhoben. Aber noch gibt es keinen Termin für einen Prozess.
Die Bahn hat zwar Konsequenzen gezogen und in die Überprüfung und Erneuerung des Schienennetzes investiert. Doch die Kritik an früheren Versäumnissen bleibt. Experten zufolge hätten systematische Sanierungen viel früher beginnen müssen. Es gebe seit Jahrzehnten einen Investitionsstau. Auch wenn eine Wende nun eingeleitet sei, werde es Jahre dauern, bis Strecken und Technik auf Vordermann gebracht sind, sagt der stellvertretende Bundesvorsitzende des Fahrgastverbandes Pro Bahn, Andreas Schröder. „In der Schweiz und in Österreich wurde über Jahre mehr investiert.“
„Die Umsetzung der Privatisierung der kritischen Infrastruktur „Bahnnetz“ zu Beginn der 90er hatte in Deutschland sicher seine Mängel, die sich bis heute zeigen“, sagt Thomas Strang, Experte für Kommunikation und Navigation am Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt. Auch er blickt aufs Ausland: „Wie es anders gehen kann, zeigt beispielsweise Japan.“ Die Vernachlässigung der Eisenbahninfrastruktur räche sich nun.
Teils wurde darüber spekuliert, ob vor dem Unglück eine Warnung wegen eines Problems an der späteren Unfallstelle nicht weitergegeben worden sein könnte. Spekuliert wurde auch, ob es einen Zusammenhang mit der Verlegung eines Wildbaches im Zuge des Ausbaus der B2 vor rund 20 Jahren gegeben haben könnte. Der Bach läuft nun zwischen Bundesstraße und Gleis. Das Wasser könne zur Instabilität des Bahndamms beigetragen haben, erläuterten im Juli 2022 der Hamburger Nahverkehrsberater Dieter Doege und Michael Jung vom Umweltverband Prellbock Altona.
Die Staatsanwaltschaft München II hatte einen Gutachter mit der Erkundung der geologischen Verhältnisse im Unfallbereich beauftragt. Es sei nicht auszuschließen gewesen, dass der Bahndamm mitursächlich für den Unfall gewesen sein könnte, erläutert die Bahn-Sprecherin. Weitere Untersuchungen hätten aber ergeben, dass der Bahndamm sicher sei.
Als weitere Konsequenz aus dem Unglück hatte die Bahn ein Investitionsprogramm über 100 Millionen Euro für die Strecken im Werdenfels und Oberland aufgelegt. In der Region wünscht man sich seit Langem einen zweigleisigen Ausbau. Der Autoverkehr von Ausflüglern bringt die Region regelmäßig an ihre Grenzen. Wenigstens ein teilweiser zweigleisiger Ausbau würde helfen, sagt Rathauschefin Koch.
Ein offizielles Gedenken wird es dieses Jahr nicht geben. Dennoch ist in der Region die Erinnerung wach. Ebenso bei der Bahn: „Insbesondere rund um den Jahrestag des Unfalls sind unsere Gedanken bei den Opfern, Angehörigen und Helferinnen und Helfern vor Ort.“