Ludwig Kroiß auf der Anklagebank. © SIGI JANTZ
München/Traunstein – Jahrelang war Professor Dr. Ludwig Kroiß Präsident des Traunsteiner Landgerichts. Im Januar dieses Jahres ist er in Pension geschickt worden ist. Anlass war ein Kuss, den er einer 31 Jahre jüngeren Sekretärin gegeben hat. Dieser hat nun nicht nur disziplinarische, sondern auch strafrechtliche Konsequenzen. Wegen sexueller Belästigung hat das Münchner Amtsgericht den 65-Jährigen am Mittwoch zu einer sechsmonatigen Bewährungsstrafe verurteilt. Außerdem muss er 4000 Euro an eine gemeinnützige Einrichtung zahlen. Kroiß kündigte über seinen Anwalt an, in Berufung zu gehen.
Etwa im Frühjahr 2021 habe Kroiß angefangen, sie mittwochs nach Feierabend zu Wein und Bier einzuladen, erinnerte sich die Sekretärin. „Der Landgerichtspräsident gibt sich mit mir ab”, habe sie sich anfangs geschmeichelt gedacht. Dann jedoch seien ihr die abendlichen Treffen unangenehm geworden: Nicht nur weil sie nun häufiger stattgefunden hätten, sondern vor allem, weil Kroiß sie beim Abschied immer umarmt und ihr Komplimente gemacht habe. Auch am 1. September 2021 sei zunächst alles „so wie immer“ gewesen. Man habe zu zweit Wein getrunken – „wahrscheinlich mehr als eine Flasche”, schätzte die 34-Jährige. „Lassen Sie sich nochmal drücken“, habe sich Kroiß gewünscht. Die Umarmung habe „ewig gedauert”. Als sie ihn irritiert angeschaut und versucht habe, sich loszureißen, habe er sie auf den Mund geküsst.
Wenige Wochen nach dem Vorfall ist bei der Sekretärin eine akute schwere Depression diagnostiziert worden. Acht Wochen lang musste sie in einem psychiatrischen Krankenhaus behandelt werden. Warum sie nicht einfach nach Hause gegangen sei, wollten die Verteidiger wissen. Als Vorgesetzter habe Kroiß ihr beruflich schaden können, gab die Sekretärin zu bedenken und fügte unter Tränen hinzu: „Man hofft, man kommt heil raus.”
Kroiß sprach in seinem letzten Wort von einem Komplott gegen ihn und fügte hinzu, die Frau habe sein Verhalten „fehlinterpretiert” und sich den Kuss eingebildet. Seine Verteidiger mutmaßten, die Sekretärin wolle sich mit ihren Vorwürfen dafür rächen, dass sie eine geringere Leistungsprämie erhalten hat als andere Mitarbeiter. Zur Verhandlung kam es, weil Kroiß einen Strafbefehl mit einer Geldstrafe nicht akzeptiert hat. Offenbar hat er im Vorfeld des Prozesses versucht, über einen sogenannten Täter-Opfer-Ausgleich eine Einstellung des Verfahrens zu erreichen. Das von ihm angebotene Schmerzensgeld von zuletzt 4000 Euro habe sie jedoch abgelehnt, berichtete die Sekretärin. Eine Entschuldigung habe der 65-Jährige zwar angekündigt: „Dazu kam es aber nicht.”
Wegen möglicher Befangenheit der Richter in Traunstein ist das Verfahren in München geführt worden. Weil Kroiß „das Hierarchieverhältnis und die Hilflosigkeit” seiner Sekretärin bewusst ausgenutzt habe, sei eine Geldstrafe nicht mehr ausreichend, sagte Richter Stefan Vollath. Dass das angeklagte Verhalten Kroiß „nicht wesensfremd” sei, ergebe sich aus der Aussage einer Richterin des Traunsteiner Landgerichts. Die 44-Jährige hatte angegeben, von Kroiß zweimal angemacht worden zu sein. Einmal habe er sie nach einer Gegenleistung für berufliche Unterstützung gefragt. Das andere Mal habe er sie gepackt und an sich gedrückt. ANDREAS MÜLLER