Digital-Pioniere: Schüler lernen während des Unterrichts mit einem iPad. © H.-C. Dittrich/picture alliance, P. Kneffel/dpa
München – Die digitale Revolution beginnt in Bayern, wie auch anders, mit einer Verwaltungsvorschrift. In der Bekanntmachung 2230.1.3-K, erlassen vergangenen Mittwoch in Nr. 278 des Bayerischen Ministerialblatts, hat das Kultusministerium nun die Details seines Konzepts „Digitale Schule der Zukunft – Lernen mit mobilen Endgeräten“ veröffentlicht. Ab dem kommenden Schuljahr dürfen alle weiterführenden Schulen ihre Klassen flächendeckend mit Tablets ausstatten. Bisher war das nur Modellschulen erlaubt. Der Zuschuss ist noch mal um 50 Euro erhöht worden – je Schüler gibt es jetz 350 Euro. Jede Schule darf pro Schuljahr zwei Klassen ausstatten. Bis 2028, so das Ziel, sollen alle Jugendlichen Tablet-Schüler sein.
Der Augsburger Professor für Schulpädagogik, Klaus Zierer, hat seine Abneigung gegen die Zwangs-Digitalisierung schon öfters, auch in dieser Zeitung, kundgetan und nutzt die Gelegenheit, noch einmal vor dem „von oben herab“ verordneten Wandel zu warnen. Diese Innovation, so sagt Zierer, sei „von der empirischen Bildungsforschung nicht gedeckt“. Eine 1:1-Ausstattung der Schüler mit Tablets „bringt kaum positive Effekte auf die Lernleistungen“. Bildungsgerechtigkeit entstehe eben nicht nur durch die Verteilung von Technik, sagt Zierer. Er sieht auch die Lehrer in einer Zwangslage: Wer sich verweigere, der werde schnell als „old school“ gelten. Womöglich werde sich die mangelnde Affinität einer Lehrkraft fürs Digitale auch in einer schlechteren dienstlichen Beurteilung widerspiegeln.
Werden Hefte und Schulbücher jetzt ausradiert? Nicht jeder sieht es so negativ wie Zierer. Walter Baier, Schulleiter in Bruckmühl (Kreis Rosenheim) und Chef der Bayerischen Direktorenvereinigung, schreit nach einem zweijährigen Versuch – sein Gymnasium war eine der Testschulen – nicht begeistert hurra. Aber er sieht nach Anfangsschwierigkeiten Erfolge. „Die Kinder haben gelernt, dass das Tablet ein Arbeitsgerät ist und kein Spielzeug. Das Tablet wird in allen Fächern eingesetzt. „Es gibt keine Stunde, wo es nicht verwendet wird.“
Ein Vorteil ist ganz praktischer Art: Arbeitsblätter werden nicht mehr kopiert und ausgeteilt, sondern an die Schüler verschickt.
„Wir haben von Anfang an die Eltern ins Boot geholt“, berichtet Baier. Dabei stellte sich heraus, dass diese die Einführung schon in der 8. Klasse nicht so toll fanden. „Da gab es nur 50 Prozent Zustimmung.“ Also wurden nur die 9. und 10. Klassen mit Tablets ausgestattet. Vom Tablet-Einsatz schon ab der 5. Klasse würde Baier aus pädagogischen Gründen abraten.
Anders sieht es Thomas Hendler, Konrektor der Mittelschule an der Anton-Günther-Straße in Dachau. Sein Problem: Die Mittelschule endet regulär nach der 9. Klasse, da würde es wenig Sinn machen, nur für ein Jahr ein Tablet anzuschaffen. „Wenn wir starten, dann mit den 5. oder 6. Klassen“, meint Hendler. Ein Beschluss steht noch aus. Die Schule baut jedoch auf den Erfahrungen auf, die sie mit 128 Leihgeräten gemacht hat – angeschafft in der Corona-Zeit.
Doch da gibt es ein Zusatzproblem: Die damals vom Freistaat finanzierten Leihgeräte sind hochwertige (und teure) iPads, die auch künftig eingesetzt werden sollen. Da mache es wenig Sinn, für die anderen Schüler andere (billigere) Geräte zu beschaffen. iPads kosten mit notwendigem Digitalstift und Extra-Tastatur leicht 700 Euro, sagt Hendler. „Da kommen dann 300 bis 400 Euro auf die Eltern zu.“ Nicht jeder werde das bezahlen können oder wollen.
Ohnehin ist es eine offene Frage, wie lange die Tablets technisch auf dem neuesten Stand sein werden. Das Bruckmühler Gymnasium liegt im Landkreis Rosenheim, der die Digital-Administration für alle Schulen auf eine Ottobrunner Firma übertragen hat. Diese kümmert sich sowohl um den Kauf der Geräte, wie auch um die notwendigen Apps und die Aktualisierung der Software. Ob ein iPad, in der 5. Klasse gekauft, aber auch noch in der 13. Jahrgangsstufe einsetzbar ist, vermag im Moment niemand zu sagen.
Und noch ein Problem gibt es: Zuschüsse erhält eine Schule nur, wenn der Breitbandanschluss ausreicht (Richtwert: 1 Megabit je Schüler) und das Wlan bis in den letzten Winkel der Schule verfügbar ist. Trotz der Corona-Jahre und der Erfahrungen mit Homeoffice und digitalem Fernunterricht sei das bei Weitem noch nicht überall der Fall, sagt Direktor Baier. „Da gibt es etliche Schulen, die abgehängt sind.“