Der letzte Bergmann von Peißenberg

von Redaktion

Seine Lampe von damals besitzt Hans Zapf noch heute.

Mit einem Wagen fährt Hans Zapf die Besucher in den Stollen.

Unglaubliche Enge: Die Bergmänner mussten damals häufig im Liegen arbeiten.

Der Eingang des Peißenberger Stollens ist seit 1971 verschlossen. Doch so ganz hat Hans Zapf ihn nie verlassen. © Andreas Mayr (4)

Peißenberg – Es kracht laut in den dicken Holz-Streben neben Hans Zapf. Gerade hat er 200 Meter Strecke tief unter der Erde freigesprengt, doch da, wo die Kohleschicht sein müsste, ist jetzt nichts mehr. Sie ist nach unten weggerutscht. Zapf weiß genau, was er hier unten tut. Vor allem weiß er, dass er seinem Instinkt vertrauen muss. Und der sagt ihm, dass etwas ganz und gar nicht stimmt. „Alle raus“, ruft er seinen Kameraden zu. Wenn der Sprengmeister so ein Kommando gibt, wird nicht diskutiert. Die Männer sind noch keine zehn Meter aus dem Schacht gelaufen, da stürzt der hinter ihnen ein.

Diese Geschichte aus seinem Leben als Bergmann erzählt Hans Zapf häufig. Meistens schon direkt am Eingang des Bergbau-Museums in Peißenberg, wenn er neben der Figur der Heiligen Barbara steht. Sie ist die Schutzpatronin der Bergleute. „Sie hat mir damals geraten, den Stollen zu verlassen“, ist Zapf überzeugt.

Die Heilige Barbara hat ihm in seiner Zeit als Bergmann häufig gute Dienste geleistet. So ist es ihm gelungen, 85 zu werden. Das Glück hatten nicht alle seiner Kameraden. Das Leben unter Tage war gefährlich. 259 Männer sind in Peißenberg unter Tage gestorben. Viele sind nicht alt geworden, weil sie dort unten so viel Staub und Dreck eingeatmet hatten. Auch Hans Zapf hat einen schwarzen Fleck auf der Lunge. Das haben ihm die Ärzte schon vor vielen Jahren gesagt. Aber ans Sterben denkt er gar nicht. Hier im Bergwerk wird er schließlich noch immer gebraucht.

Zapf ist so was wie ein Zeitreisender. Der Stollen ist seit 1971 dicht, nur noch ein paar Meter sind zugänglich. Zapf kehrt immer wieder dahin zurück. Er ist der letzte Bergmann, der noch von damals berichtet. Wie es früher rund tausend Meter tief unter der Erde zuging. An diesem Tag führt der 85-Jährige in seiner Bergmann-Uniform die Mitarbeiter einer Zahnarzt-Praxis durchs Museum und den Stollen. Nie macht er sich vorher Gedanken, was er erzählen wird. Aber manchmal muss er sich selbst ein bisschen bremsen. Es gibt einfach zu viel zu berichten aus der längst verlassenen Welt da unten.

„Wir waren alle dürre Hunde“, sagt er. Junge Burschen, viele noch nicht mal volljährig. Manche Schächte waren so eng, dass die Bergmänner im Liegen arbeiten mussten. Über sich tausende Tonnen Gestein. „Einen Schulfreund von mir hat‘s da unten zerquetscht“, erzählt er trocken. Steinsturz. Er selbst hatte es wieder mal grade noch raus geschafft. Aber die Heilige Barbara konnte sie nicht alle beschützen.

Eigentlich ist nicht viel Museum nötig, wenn Hans Zapf ins Erzählen kommt. In tiefstem Peißenberger Dialekt öffnet er den Stollen in der Fantasie seiner Gäste wieder. Manchmal reist er mit ihnen sogar noch weiter zurück. Ins Jahr 1580, als die Kohle entdeckt wurde. Dank eines Hirtenjungen. Der wollte ein paar Kartoffeln über einem Feuer kochen – er ahnte ja nicht, dass unter dem Gras eine Kohlenschicht lag. „Plötzlich hat die ganze Wiese gebrannt“, berichtet Zapf und blickt aus seinen wachen blauen Augen in die Runde seiner Zuhörer. Der Bach wurde umgeleitet, die Wiese war schnell gelöscht – doch für Peißenberg begann ein neues Kapitel. „Die Fugger, die Hunde, haben gleich spitzgekriegt, dass es bei uns Kohle gibt“, erzählt er. Die Augsburger wurden die ersten größeren Kunden, sie transportierten die Kohle per Floß über den Lech ab.

Zapf redet schon fast 40 Minuten und ist mit seiner Zahnarzt-Gruppe erst ein paar Meter weit gekommen. Dabei will er ja noch so viel zeigen. Die alten Bohrhammer zum Beispiel. „Die sind ein bisschen größer als in unserer Praxis“, sagt ein Zahnarzt beeindruckt. Zapf schmunzelt sich ein paar Lachfalten um die Augen. Es kommen immer mehr Fragen, das freut ihn. Jetzt sind seine Gäste ganz in seinem Bann.

Hans Zapf war 33, als der Stollen geschlossen wurde. Er hat noch mal ein ganz neues Berufsleben begonnen, fand eine Stelle bei der MTU. Die harten Tage waren vorbei. Schade, sagt er heute. „Es hätte sich noch rentiert da unten“, glaubt er. „Andererseits: Wahrscheinlich wäre ich dann nicht mehr am Leben.“ Ein Teil von ihm hat diesen Stollen nie ganz verlassen, das merkt jeder, der ihm zuhört. Diese Jahre waren so intensiv, die Tage nicht nur hart, sondern auch voller Adrenalin. Und so eine Kameradschaft wie tausend Meter unter der Erde hat Zapf später nie mehr erlebt, das sagt er immer wieder. „Da unten musste man sich aufeinander verlassen können.“ Wie groß der Zusammenhalt war, merkte Zapf, als er für sich und seine Frau ein Haus baute. „Ich hab nicht einen Handwerker gebraucht.“ Er hatte ja seine Kameraden.

Wenn er heute zurückblickt, ist er dankbar für die Jahre im Bergwerk. Sein Großvater war Bergmann, sein Vater war Bergmann und seine Mutter wollte unbedingt verhindern, dass er es auch wird. Er hat es ihr erst gesagt, als er schon die Zusage hatte, dass er im Bergwerk anfangen kann. 14 war er damals. Erst hat er über Tage gearbeitet. Mit 16 durfte er das erste Mal runter in den Schacht. Der war damals erst 600 Meter tief. Es waren harte Tage, erzählt er. „In jeder Schicht haben wir uns sicher tausend Mal gebückt.“ Er lernte schnell, Zentnerschwere Eisengeräte zu schleppen. Später wurde er Sprengmeister, die Arbeit wurde noch gefährlicher. Einmal lag er 14 Tage im Krankenhaus, weil ein anderer Bergmann einen Fehler gemacht hatte, der ihn fast den Fuß gekostet hätte. „Ein Trottel“, sagt er und dann: „Naja, so was passiert halt.“

Man kann einen Stollen stilllegen, aber nicht den Zusammenhalt unter den Bergleuten. Immer wieder spricht Zapf über die Kameradschaft, während er seine Besucher in die noch übrig gebliebenen 200 Meter Schacht führt. Dort hat er eine kleine Schau-Sprengung vorbereitet. Die Zahnärzte stehen auf einer Platte, die zu beben beginnt, als Zapf „Achtung, Feuer!“ ruft und einen roten Knopf drückt. Es knallt, es raucht, Zapf lächelt. Wie früher, herrlich!

1,5 Millionen Tonnen Kohle haben die Bergmänner aus dem Peißenberger Untergrund geholt. 70 000 Eisenbahnwaggons voll. „Ich hoff, ihr habt‘s ein bissl was gelernt“, sagt Zapf, als er sich von den Zahnärzten verabschiedet. „Originell war‘s“, sagt einer. Noch eine ziemliche Untertreibung für die Zeitreise mit Hans Zapf. Manchmal, sagt er, geht er ganz allein in den Stollen – ohne Besucher. „Dann fallen mir Dinge wieder ein, die ich lange vergessen hatte.“ Es sind nicht die körperlichen Schmerzen oder die Enge, an die er sich dann erinnert. Es sind Geschichten von großer Kameradschaft. Zu viele für eine Führung. Aber so prägend, dass er sein Bergwerk nie verlassen wird.

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