Die Millionenspender aus Japan

von Redaktion

Das Seniorenheim in Hohenberg im Fichtelgebirge mit 75 Kirschbäumen entstand dank der Spenderin aus Japan. © Volk Verlag

Das erste Muster, das die Japaner inspiriert hat, als Tasche.

Handwerk aus Oberfranken: ein altes Foto aus der Weberei Feiler in Hohenberg. Das Unternehmen ist heute noch erfolgreich.

Frisch verheiratet: das Ehepaar Aharon und Kazuko Yamakawain traditioneller japanischer Kleidung. Später machen sie Chenille aus Bayern in Japan berühmt. © Volk Verlag (4)

Hohenberg/Tokio – Vor dem Seniorenhaus in Hohenberg an der Eger, kurz vor der bayerisch-tschechischen Grenze, blühen im Frühjahr 75 Kirschbäume, so schön, dass Japaner anreisen, sie bewundern und Fotos machen. Kurios – aber nur ein klitzekleines Kapitel einer märchenhaften Geschichte. Ohne die gäbe es kein Seniorenhaus, keine Kirschblüten. Aber von Anfang an.

Frühherbst, 1967. Die Japanerin Kazuko Yamakawa, die in einem Luxus-Geschäft in Paris arbeitet, macht mit ihrem Chef Aharon einen Ausflug nach Belgien. Sie spaziert an der Promenade und was dann passiert, nennt Kazuko Yamakawa, heute 81, in ihrem Buch, das gerade im Volk Verlag erschienen ist, eine „schicksalhafte Begegnung“. Und zwar mit einem Stück Stoff. Sie schaut damals in das Schaufenster einer Boutique und sieht ein Tuch mit einem goldenen Phoenix, der eine rote Rose in seinem Schnabel hält. „Der Anblick“, schreibt die Japanerin, „verschlug mir die Sprache.“ Sie erfährt, dass das ein „Chenilletuch aus Deutschland“ ist. Sie kratzt ihr Bargeld zusammen und kauft so viele Tücher, wie es geht. Wie verliebt fährt sie zurück nach Paris. Dass heute fast jede Frau in Japan ein solches Tuch besitzt, ahnt sie damals nicht.

Das Stück Stoff geht ihr nicht mehr aus dem Kopf. Sie heiratet ihren Chef, gründet mit ihm in Tokio die Vertriebsfirma Montrive. Dann passiert schon wieder etwas Schicksalhaftes. Das Ehepaar findet den vergilbten Kassenzettel aus der Boutique in Belgien. Kazuko Yamakawa macht einen Luftsprung, ihr Mann schickt ein Telegramm an den Ladeninhaber: „Bitte teilen Sie uns den Herstellernamen des Chenilletuchs mit, das wir in Ihrem Laden gekauft haben.“ Die beiden haben jetzt eine Geschäftsidee: Sie wollen das Tuch in Japan, wo man edle Textilien sehr schätzt, vertreiben.

Das Ehepaar erfährt, dass das weiche Stück Stoff aus der Fabrikation von Ernst Feiler stammt. Der betreibt damals die letzte Chenille-Weberei in Deutschland, heute die letzte in Europa – und zwar in Hohenberg im Fichtelgebirge. Noch ein Telegramm macht sich auf den Weg. „Please send me a sample.“ Bitte schicken Sie mir Stoffmuster. Und der bayerische Firmenchef schickt tatsächlich ein Paket nach Japan. Yamakawa ist so verzaubert, dass sie mit den Stoffen neben ihrem Kopfkissen im Bett schläft.

Doch jetzt der Schock: Niemand will die Tücher haben. Kurz vor der Verzweiflung verteilen sie die Stöffchen an Yamakawas Mutter, Freundinnen. Und die sind begeistert. Jetzt weiß das Paar: Wir schaffen das. Die beiden reisen nach Hohenberg, lassen sich von Feiler zeigen, wie die prachtvollen Muster in das samtweiche Chenillegewebe kommen. Kazuko Yamakawa überredet Feiler, ihm sein Luxusprodukt zu verkaufen. Das erste Bestelldokument hängt immer noch an der Wand von Yamakawas Firma in Tokio.

Nun scheint der Knoten geplatzt: Kazuko Yamakawa stellt Taschen aus dem Stoff her, ein Kaufhaus verkauft noch am selben Tag alle Exemplare. Die Kunden sind sauer, das Ehepaar bittet Feiler, die Produktion zu erhöhen. Die Fabrik im Fichtelgebirge baut aus, Yamakawa konzentriert sich auf den Verkauf eines kleinen, feinen Taschentuchs. Feiler wird dafür in Japan berühmt, in einem Atemzug mit Mercedes oder BMW genannt. Im Buch erzählt Yamakawa von einer Dame, die so viele Produkte von Feiler besaß, dass sie dafür ein Zimmer mietete. Die Japaner lieben Chenille aus Hohenberg, das ist bis heute so. Und Kazuko Yamakawa und ihren 2012 verstorbenen Mann hat das weiche Tuch reich gemacht.

Das ist nicht das Ende des bayerisch-japanischen Märchens. Denn Yamakawa ist Feiler so dankbar, dass sie der Stadt etwas zurückgeben möchte. Hohenbergs Bürgermeister Jürgen Hoffmann (SPD) sagt über „Frau Yamakawa“: „Sie ist ein unglaublich herzlicher Mensch.“ Und sie hat gute Ideen. Sie spendet 3,47 Millionen Euro für ein Seniorenhaus, das sich die dauerklamme Stadt niemals leisten könnte. 2017 wird es eröffnet. 2023 gibt sie eine Million für einen Aktivpark, in dem sich heute Kinder und Senioren tummeln. Und heuer versprach Yamakawa, die mindestens einmal im Jahr nach Hohenberg kommt, rund 16 Millionen Euro für eine barrierefreie Wohnanlage. „Die Kommunen um uns herum sind richtig neidisch“, sagt der Bürgermeister. Seine Stadt wäre ohne die Gönnerin aus Japan eine andere. Und alles begann mit einem Stück Stoff.

Das Buch

ENN – der Schicksalsfaden. Eine bayerisch-japanische Erfolgsgeschichte. 240 Seiten. ISBN 978-3-86222-491-3. 24 Euro.

Artikel 7 von 11