Mundpflege aus der Nazi-Zeit: eine alte Chlorodont-Zahnpastatube, Ausgrabungsfund am Obersalzberg. © epd
Ein Täterort: Hitler und Eva Braun vor dem Berghof im Jahr 1942. © archiv
Zahnbürste mit der Beschriftung „Dem braven Kinde“, Ausgrabungsfund am Obersalzberg. © epd
Freilegung eines Gebäudes am Obersalzberg im Jahr 2020, im Vordergrund ist noch ein alter Herd erkennbar. Künftig soll genauer hingeschaut werden. © epd
Berchtesgaden – Hitlers ehemaliger Hausberg, der Obersalzberg, gilt als einer der bedeutsamsten Täterorte im Nationalsozialismus. Lange Zeit blieb die Vergangenheit unaufgearbeitet. Dann eröffnete Ende der 1990er-Jahre die Dokumentation Obersalzberg. Kurze Zeit darauf räumte der Freistaat alle verbliebenen Baudenkmäler, wie etwa den Platterhof, über den Haufen. Geschichte wurde mit dem Bagger plattgemacht. So mancher Historiker schaudert heute bei dem Gedanken, dass die letzten erhaltenen Gebäude aus der NS-Zeit einfach der Abrissbirne zum Opfer fielen. Vertreter des Landesamt für Denkmalpflege hatten damals ein Betretungsverbot. Heutzutage möchte sich das Landesamt für Denkmalpflege dazu nicht mehr äußern, wie es auf Anfrage heißt: Zu Vorgängen, „die vor der Zeit der allermeisten Beschäftigten des Bayerischen Landesamtes für Denkmalpflege liegen“, mache man „keine Angaben“, heißt es.
Dennoch gibt es noch viele Relikte aus der NS-Zeit am Obersalzberg. Claudia Theune, Archäologin an der Universität Wien, präsentierte einige bei einem Pressetermin am Obersalzberg: Es sind Taschenspucknäpfchen, Lippenstifte, eine beschädigte Milchkanne, ein beschrifteter Löffel mit Gravur, der auf dem Gelände der Tötungsanstalt Schloss Hartheim bei Linz gefunden wurde. In den Trümmern eines Wohnhauses im sogenannten „Führersperrgebiet“ am Obersalzberg fanden die Archäologen einen Kamm. „Rhenatin” steht auf diesem, der Eigenname eines Kunststoffes aus den 1940er-Jahren.
Die Funde sollen dazu beitragen, „nicht nur den Alltag der Menschen zu dieser Zeit besser zu verstehen, sondern vor allem den Opfern ein Stück weit ihre Würde zurückzugeben”, sagt Claudia Theune. Die Grundsätze, wie mit solchen Funden aus der Zeit des Nationalsozialismus umgegangen wird, haben Archäologen aus Wien, Vertreter des Bayerischen Landesamtes für Denkmalpflege (BLfD) und Universitätsmitarbeiter aus Wien jetzt in einem Positionspapier festgelegt. „Bodendenkmalpflege und Archäologie sind sich der Verantwortung im Umgang mit den materiellen Zeugnissen der NS-Zeit und der Tragweite der Aufgabe auf allen gesellschaftlichen Ebenen bewusst“, heißt es darin. Bei Veränderungen von Denkmälern aus der NS-Zeit seien Gedenkstätten und Opferverbände mit einzubeziehen. Umgekehrt müssten Archäologen hinzugezogen werden, wenn die Erhaltung dieser Denkmäler auf der Kippe stehe. Und es gebe „die Notwendigkeit zur wissenschaftlichen Bearbeitung, Publikation und Vermittlung der Ergebnisse“.
Künftig werde man bei jeder Bautätigkeit am Obersalzberg „ein Auge darauf werfen”, sagt Archäologin Stefanie Berg vom BLfD. Was noch im Boden schlummert, könnte als materielles Zeitzeugnis wertvolle Erkenntnisse über die NS-Zeit liefern. Auch wenn die bayerischen Depots bereits aus allen Nähten platzen, wie Claudia Theune sagt. „Wir arbeiten aber nicht pro-aktiv”, sagt Archäologin Stefanie Berg. Man werde nun also nicht überall den Obersalzberg umgraben.
Sammler zahlen viel Geld für Relikte vom Obersalzberg
Dass am Obersalzberg schon viel gefunden wurde, ist Insidern bekannt. Leute, die mit Schaufel im Wald unterwegs sind, sichtet man immer wieder. „Wo der Obersalzberg-Stempel drauf ist, zahlen Sammler weltweit hohe Preise”, weiß auch Sven Keller, Leiter der Dokumentation Obersalzberg. Den Wissenschaftlern geht es aber um etwas anderes: Zeugnisse für die Nachwelt aufzubewahren. Das Unterfangen kommt spät. Österreich gilt den Bayern zudem um Meilen voraus, was die Denkmalpflege betrifft. „Der Freistaat pflegte einen beklagenswerten Umgang mit seiner Geschichte”, sagt ein Berchtesgaden-Historiker am Rande der Veranstaltung. Das könnte sich nun ändern.