Der Gilchinger Apotheker Stefan Hartmann macht sich Sorgen wegen Karl Lauterbachs Reformplänen. © Andrea Jaksch
Gilching – Stefan Hartmann ist Apotheker in fünfter Generation. Und die sechste rückt gerade nach. Er hat die Leidenschaft zu dem Beruf an seine beiden Töchter weitergegeben. Eine ist gerade mit dem Studium fertig geworden. Hartmann ist stolz. Aber manchmal fragt er sich auch im Stillen, wie sich die Apotheken im Berufsleben seiner Töchter wohl verändern werden. Nicht zum Besten, vermutet der 62-Jährige. Gründe für diesen Pessimismus liefert ihm der Bundesgesundheitsminister – aktuell mit einem Entwurf für eine Apotheken-Reform.
Karl Lauterbach (SPD) plant, dass es künftig viele Apotheken ohne Apotheker geben wird. Pharmazeutisch-technische Assistenten (PTA) sollen die Kunden bedienen. Bei Fragen könnten diensthabende Apotheker per Video dazugeschaltet werden. Apotheker tragen zwar weiterhin die volle Verantwortung, müssen aber nur noch acht Stunden pro Woche persönlich anwesend sein. Dadurch könnten sie mehrere Filialen betreiben. Damit will Lauterbach das Apothekensterben auf dem Land stoppen.
Stefan Hartmann glaubt, dass genau das Gegenteil passieren wird, sollte die Reform in Berlin beschlossen werden. Er betreibt in Gilching im Kreis Starnberg eine Apotheke mit zwei weiteren Filialen. „Pro Tag bedienen und beraten wir rund 200 Kunden in jeder Apotheke“, sagt er. Um das leisten zu können, braucht er vier bis fünf Apotheker pro Filiale. „Ich könnte zusperren, wenn ich die nicht mehr hätte“, sagt er. Eine Apotheke ohne Apotheker, dass sei wie ein Zug ohne Lokführer. Den könne auch nicht einfach der Schaffner fahren. Es gebe auch gar nicht genug PTA, um die Apotheken ohne Apotheker zu führen. Zumal der PTA-Bundesverband bereits angekündigt hat, dass die PTA nach jetziger Ausbildung weder in der Lage noch willens sind, eine Arzneimittelabgabestelle zu leiten. „Sie müssten dafür erst weiterqualifiziert werden“, sagt Hartmann. „Das kostet Geld und würde Jahre dauern. Dadurch ist nichts gewonnen.“
Hartmann ist auch Vorsitzender des Bundesverbands Deutscher Apothekenkooperationen. Deshalb weiß er gut, dass seine Kollegen überall in Deutschland gerade mit vielen Problemen kämpfen: immer mehr Bürokratie, steigende Personal- und Sachkosten, gleichzeitig ist die Vergütung für rezeptpflichtige Arzneimittelpackungen seit 2013 nicht mehr angepasst worden. Schon vergangenes Jahr hatten die Apotheken deswegen einen Tag lang protestiert, sie fordern eine Erhöhung von 8,35 Euro auf 12 Euro. All diese Probleme werden durch Lauterbachs Reformpläne nicht gelöst, betont Hartmann. „Es ist ein verzweifelter Versuch, den Bürgern eine Lösung zu verkaufen, die keine ist.“ Josef Kammermeier, stellvertretender Vorsitzender des Bayerischen Apothekerverbandes, geht noch weiter: „Minister Lauterbach kann nicht rechnen oder lügt – oder beides“, sagt er. Weniger Zugangsmöglichkeiten zu Arzneimitteln und weniger Fachpersonen – das sei faktisch eine Leistungskürzung.
Auch Stefan Hartmann prognostiziert, dass viele Kunden künftig längere Anfahrtswege in Kauf nehmen müssen, um ihre Medikamente zu bekommen. Verschreibungspflichtige Medikamente dürften nur ausgegeben werden, wenn Apotheker vor Ort sind, sagt er. „Außer man macht Apotheken zu reinen Abgabestellen. Wir erleben aber tagtäglich, dass eine professionelle Medikationsberatung unerlässlich ist.“
Bayerns Gesundheitsministerin Judith Gerlach (CSU) stellt sich hinter die Apotheker. „Eine Reform muss bei der Honorierung ansetzen“, sagt sie. „Um eine flächendeckende Arzneimittelversorgung auch in Zukunft zu gewährleisten, ist es notwendig, dass auch kleinere und umsatzschwächere Apotheken weiterbetrieben werden.“ Laut Apothekerverband hat Bayern in den vergangenen zehn Jahren rund 500 Apotheken verloren. Bundesweit waren es knapp 500 allein im vergangenen Jahr.
Nicht alle Reformideen von Lauterbach seien schlecht, sagt Stefan Hartmann. Zum Beispiel plant der Minister, dass Apotheker künftig auch Schnelltests und Impfungen durchführen dürfen. „Dieses niedrigschwellige Angebot ist wichtig“, sagt der Gilchinger Apotheker. Es entlaste die Arztpraxen und erreiche auch Menschen, die keinen Hausarzt haben. Aber auch dabei sei die Frage der Vergütung das zentrale Thema. „Für neun Euro zu impfen, ist nicht wirtschaftlich“, betont er. „Wir müssten 16 Euro verlangen.“
Die Abstimmung über die Reform im Kabinett ist verschoben. Geplant ist aber, dass das Gesetz Anfang 2025 in Kraft tritt. Stefan Hartmann hat noch Hoffnungen, dass es nicht so weit kommen wird. Er könnte sich sogar eine erneute Protestaktion der Apotheken bundesweit vorstellen. „Dieses Mal vielleicht sogar mehrere Tage.“