Klaus Flügge aus Erding. © Uta Künkler
Klaus Flügge ist 80 Jahre alt und seit 60 Jahren leidenschaftlicher Spieler des Strategiespiels Go. In seiner Heimat Erding ist es ihm gelungen, seine Begeisterung an viele junge Menschen weiterzugeben. Mit Erfolg: Eine Schülergruppe hat vor Kurzem die Deutsche Meisterschaft gewonnen.
Für alle, die das Spiel nicht kennen, sieht es so aus, als wären weiße und schwarze Steine zufällig auf dem gerasterten Holzbrett verteilt. Davor sitzt ein Profi in diesem Spiel: Klaus Flügge, 80 Jahre alt, die meiste Zeit seines Lebens leidenschaftlicher Go-Spieler. „Die lebendige Formation ist zerstört“, sagt Flügge mit einem Blick auf das Brett. „Weiß hat im Grunde verloren.“ In Erding ist Flügge längst nicht mehr der Einzige, der einen guten Blick für das Spiel hat. Seit 35 Jahren gibt er sein Wissen an Gymnasiasten weiter – und hat sie längst mit seiner Go-Leidenschaft angesteckt. Er hat dafür eine Go-Gruppe gegründet und bietet an den beiden Gymnasien Wahlkurse an. Denn er wünscht sich, dass das Spiel in Erding weiterhin gespielt wird, auch wenn seine Kräfte irgendwann nachlassen. Denn was das Strategiespiel angeht, hat sich Erding längst einen Namen gemacht. Erst vor Kurzem hat eine Gruppe von Schülern des Anne-Frank-Gymnasiums die deutsche Meisterschaft in Rostock gewonnen. Dreimal waren die Schüler schon auf Einladung des japanischen Go-Verbands in Japan.
In Deutschland gibt es rund 10 000 Go-Spieler. Viele kennen das Jahrtausende alte Brettspiel nur aus Kreuzworträtseln. Dabei sei es so viel spannender als Schach, findet Flügge. „Es gibt mehr Kombinationsmöglichkeiten, als wir Moleküle in der Milchstraße haben.“ Die Regeln seien in fünf Minuten erklärt, betont er. Und als ehemaliger Kinder- und Jugendpsychotherapeut weiß er, dass das Spiel in vielerlei Hinsicht förderlich für die Entwicklung junger Menschen ist. „Go ist das Maximum an Abstraktion des Denkens, es erfordert absolute Konzentration.“ Eine Partie unter Anfängern dauert bis zu drei Stunden. Profis spielen schon mal mehr als einen Tag. Wohltuend in Zeiten, in denen die jugendliche Aufmerksamkeitsspanne oft auf eineinhalb Tiktok-Minuten begrenzt ist, findet Flügge.
Er hat es immer genossen, Kinder beim Spielen zu beobachten. „Kinder, die sich gerne durchschlawinern, versuchen auch im Spiel zu tricksen. Und wer aggressiv durchs Leben geht, wird auch so spielen“, sagt er. Zumindest anfangs. Er hat es immer genossen, dabei zuzusehen, wie Kinder über das Go-Spiel in ihrer Persönlichkeit gereift sind. Für ihn ist Go nicht nur ein Spiel, sondern auch ein Stück weit Weltanschauung. Weisheiten aus China, Japan oder Korea, wo das Spiel verbreiteter ist, hätten ihren Ursprung in Go-Strategien, sagt er. „Wenn du es eilig hast, gehe langsam“, zum Beispiel. Auch er selbst ist jahrelang regelmäßig zu Wettkämpfen quer durch Europa gereist. Sogar bis nach Asien. Seit er im Ruhestand ist, beginnt er jeden Tag mit einer Partie am Computer – und lässt sie sich hinterher von der Künstlichen Intelligenz analysieren. „Manchmal spiele ich dann auch den ganzen Tag.“ Und es ist ihm schon passiert, dass er nachts ganze Züge auf seinem Go-Brett geträumt hat.
UTA KÜNKLER