Statistik-Profi und Verspätungsmesser: Felix Schweikl am S-Bahn-Halt St. Koloman im Kreis Erding. © Foto: Johannes Dziemballa
St. Koloman – Die S-Bahn hat Felix Schweikl (24) mehr als einen Tag gestohlen. Genauer gesagt: 27 Stunden und 38 Minuten. So lange wartete der Student im Jahr 2023 auf verspätete Züge. Schweikl weiß es genau: Er hat es gezählt, und das kann er gut. Gerade macht er an der LMU seinen Master in Statistik.
Seit sechs Jahren fährt der Student mit der S2 von St. Koloman im Landkreis Erding zum Marienplatz. 2019 fing Schweikl an, Verspätungen zu notieren. „Ich stand mal wieder am Bahnsteig und wartete auf die S-Bahn, die nicht kam.“
2023 war bisher das schlimmste Jahr, sagt Felix Schweikl. An 205 Tagen fuhr er laut seinen Aufzeichnungen 419 Mal mit der S-Bahn. „Davon waren 142 Fahrten mit Verspätung, was einem Anteil von 33,9 Prozent unpünktlicher Fahrten entspricht“, sagt er. Unpünktlich bedeutet bei ihm: mehr als vier Minuten Abweichung vom Fahrplan. Für die Deutsche Bahn ist ein Zug erst ab sechs Minuten Abweichung verspätet.
Da Schweikl auch Fahrten seiner Schwester, seiner Mutter und eines Kumpels statistisch erfasste, weiß er: Alle vier hatten 2023 insgesamt 86 Stunden und 50 Minuten Verspätung.
Aus seinen Notizen hat Schweikl eine 35 Seiten lange Präsentation erstellt, komplett mit Fahrlisten und Diagrammen. Da steht drin, dass die meisten S-Bahnen von Oktober bis Dezember verspätet waren – nämlich mehr als 40 Prozent, im November gar 58,5 Prozent der Züge! Im August lief es dagegen am besten (weniger als 20 Prozent verspätete Bahnen). Der schlimmste Wochentag ist statistisch gesehen der Donnerstag (43,2 Prozent verspätete Züge), der beste der Sonntag mit 13 Prozent.
Auch Totalausfälle notierte sich Schweikl genau: Im April und Juli fielen mit 13 und 12 Prozent die meisten Bahnen aus, die meisten ab 23 Uhr. Sogar Ticket-Kontrollen hat er vermerkt: Im Januar, April und Juni gibt‘s die meisten. Vor allem mittwochs, von 9 bis 12 Uhr. Interessant: Vor 6.30 Uhr wurde nie kontrolliert. Vielleicht aber auch, weil er da kaum fuhr.
Insgesamt war die S2 auf Schweikls Abschnitt 2023 nur zu 80 Prozent pünktlich. Die Bayerische Eisenbahngesellschaft gibt für die S2 Ost einen Wert von 87,7 Prozent an. Wie erklärt er den Unterschied? „Die Abweichung rührt daher, dass die Bahn Zugausfälle nicht als Verspätung zählt“, sagt Schweikl. Er zählt das schon, weil: Er als Fahrgast kommt dann erst recht zu spät.
So oder so: Die S2 Ost ist laut Bahn die unpünktlichste im ganzen Netz. Gründe laut Bahn: schlechte Infrastruktur, äußere Einflüsse wie Personen im Gleis und Fahrzeugstörungen – auf der S2 gibt es zusätzlich Probleme, weil auch Regionalzüge die Gleise nutzen – und es viele eingleisige Abschnitte gibt, an denen die S-Bahn öfters warten muss.
Für 2024 schaut‘s übrigens nicht viel besser aus, sagt Schweikl: „Wenn es so weitergeht, wird es heuer zu einem weiteren Rekord kommen“, schätzt der Statistik-Profi.
THOMAS GAUTIER