Sechs solcher Stationen informieren über Gletscher, globale Erwärmung und die Umweltforschungsstation.
Ein Todeis-Feld am Nördlichen Schneeferner.
Gletschersterben live: Max Pohl hält am Nördlichen Schneeferner einen Eisbrocken in der Hand. Reines Gletschereis befindet sich nur noch an den blauen Stellen, der Rest ist Altschnee und Firn. © Cornelia Schramm (2)/BZB
Garmisch-Partenkirchen – Max Pohl geht in die Knie und fischt einen Eisbrocken aus dem Schmelzwasserbach. „Das ist Gletschersterben live“, sagt der 33-Jährige. In Garmisch-Partenkirchen aufgewachsen, kennt er das Zugspitzplatt auf 2600 Metern gut. Schon als Sechsjähriger ist er hier mit seinem Papa Ski gefahren. Mittlerweile fühlt sich jede Tour am Nördlichen Schneeferner für den Ski- und Bergführer an wie ein Abschiedsbesuch. Denn Glaziologen gehen davon aus, dass bis zum Jahr 2030 kein Gletscher mehr sein wird.
Der kleine Bruder, der Südliche Schneeferner, ist schon tot. „Ihm wurde 2022 der Gletscherstatus aberkannt, weil er nicht mehr fließt – sein Eis hatte aufgehört, sich zu verändern, also talwärts zu wandern“, erklärt Pohl. „Jetzt schrumpft das Todeis mehr und mehr zusammen.“ Im Hochsommer zeigt auch der Nördliche Schneeferner, wie sehr er kämpft. „An den blauen Stellen sieht man das reine Gletschereis“, sagt Pohl und deutet auf den blau-weiß-grau-marmorierten Fleckenteppich aus ewigem Eis, Firn sowie Altschnee und Lawinenresten vom Schneefernerkopf aus diesem Winter. „Es gab schon Sommer, da hat man mehr blaue Flächen gesehen“, sagt Pohl. „Der viele Schnee aus diesem Winter tut dem Gletscher bis jetzt gut.“
Oberhalb im Zugspitzmassiv thront die Umweltforschungsstation Schneefernerhaus. Die Wissenschaftler der Bayerischen Akademie der Wissenschaften und der Hochschule München beobachten mit modernster Technik die letzten zwei verbliebenen der einst vier Gletscher Deutschlands: den Nördlichen Schneeferner und den Höllentalferner, der gleich hinter der Bergkuppe liegt. Der Schneeferner reicht nur mehr 20 Meter in die Tiefe. In den vergangenen fünf Jahren hat er rund sieben Meter an Dicke verloren. Das ist der höchste Wert der Beobachtungsreihe seit 1892. Schon 2018 war der Nördliche Schneeferner mit 16,1 Hektar nur noch knapp halb so groß wie das Gelände des Münchner Oktoberfestes. Seitdem ist er auf 13 Hektar geschrumpft. 2030 könnte er so klein und so dünn sein, dass es keine Eisbewegung mehr gibt. Dann müssen die Forscher seinen Tod feststellen.
Auf seiner Tour stößt Max Pohl schon jetzt auf Todeis. Vom Bach aus klettert er einige Meter hinauf zu einem mannshohen Wall. „Dieses Feld ist komplett vom Gletscher abgetrennt“, sagt er und streicht über die Oberfläche aus blankem Eis, das Geröll bedeckt hat. Er entdeckt einen großen Riss und streckt den Kopf hinein. „Wahnsinn, wie das pocht. Unter dem Block rauscht das Schmelzwasser durch.“
Dieses Rauschen klingt nach den letzten Atemzügen des ewigen Eises. Die globale Erwärmung nagt unaufhörlich an ihm. „Daran lässt sich nichts beschönigen“, sagt Verena Tanzer von der Bayerischen Zugspitzbahn Bergbahn. „Wir befördern Gäste aus der ganzen Welt auf die Zugspitze, direkt an den sterbenden Gletscher. Wir haben die Pflicht, sie über seinen Zustand und die gravierenden Veränderungen zu informieren, sie aufzuklären. Die Gäste sollen mit mehr Wissen zurück ins Tal fahren.“
Für dieses Ziel hat die BZB Max Pohl ins Boot geholt. Der Geschäftsführer der Ski- und Bergschule Vivalpin in Garmisch-Partenkirchen und seine Bergführer bieten nun Touren über den Gletscher an. Auch Gefahren wie Steinschlag, die durch das Gletscherstreben zunehmen, werden besprochen. Das Thema stößt laut Tanzer bei den Besuchern auf großes Interesse. Auf dem Zugspitzplatt hatte die BZB schon 2016 einen Rundweg mit sechs Info-Tafeln installiert und Mitarbeiter zu Gletscher-Guides ausgebildet. „Das neue Angebot von Vivalpin setzt da an, wo unsere Mitarbeiter aus Haftungsgründen mit Gästen bisher nicht hinwandern konnten.“
Die Uhr tickt. Das ist all jenen, die täglich in Sicht zum Patienten arbeiten, klar. Als „Abschiedsbesuch“ haben die Vertreter der BZB und der Umweltforschungsstation Schneefernerhaus deshalb auch den Themenweg inhaltlich komplett erneuert. Die Datenlage zur Gletscherschmelze war nach nur wenigen Jahren völlig veraltet. Jetzt sind die neuesten Erkenntnisse rund um die Veränderungen und zunehmende Schmelzgeschwindigkeit durch den menschgemachten Klimawandel hier genauso Thema wie die sichtbaren Spuren aus der letzten Eiszeit, Erosionsphänomene und Gletschercharakteristika.
Noch früher als der Nördliche Schneeferner werden laut den Glaziologen der Watzmann- und der Blaueisgletscher bei Berchtesgaden für tot erklärt werden. Sie könnte es schon in zwei oder drei Jahren treffen. Der Höllentalferner wird am längsten erhalten bleiben und somit wohl als letzter Gletscher Deutschlands in die Geschichte eingehen. „Unsere kleineren Gletscher reagieren noch viel schneller und stärker auf die Klimaveränderungen als die größeren“, sagt Laura Schmidt, Sprecherin des Schneefernerhauses. „Damit geht auch ein Landschaftsbild im Hochgebirge verloren, nachkommende Generationen werden das nicht mehr sehen.“