Jüdischer Kantor von Sohn erstochen

von Redaktion

Früher Opernsänger, dann Kantor in der jüdischen Gemeinde Beth Schalom in München: Nikola David war ein Ausnahmemusiker. Der 55-Jährige wurde Opfer einer Gewalttat – wie jetzt bekannt wurde, wurde er am Freitag von seinem Sohn getötet.

Polizeiauto am Tatort: In diesem Haus im Augsburger Univiertel wurde David niedergestochen. © Bruder Media

Ein Ausnahmemusiker und ein herzensguter Mensch war Kantor Nikola David seinen Wegbegleitern zufolge. © imago

Augsburg/München – Eine dürre Polizeimeldung, die das Präsidium Schwaben Nord am Freitagabend verschickt. Es geht um ein Tötungsdelikt in einem Mehrfamilienhaus im Augsburger Univiertel. Gegen 10.40 Uhr kommt es demnach zu einer körperlichen Auseinandersetzung zwischen einem 28-Jährigen und seinem Vater, einem 55-Jährigen. Der Sohn greift zum Messer, attackiert seinen Vater. Anwohner beobachten den Vorfall und verständigen die Polizei. Die Einsatzkräfte nehmen den Angreifer fest, das verletzte Opfer wird nach Erster Hilfe in ein Krankenhaus gebracht. Dort stirbt der 55 Jahre alte Mann. Die Kriminalpolizei übernimmt die Ermittlungen, ein Richter erlässt Haftbefehl wegen Totschlags gegen den 28-Jährigen. Der sitzt seither in einer Justizvollzugsanstalt, an der Hand ist er leicht verletzt.

Eine schreckliche Tat – die vor allem Juden in ganz Bayern und darüber hinaus erschüttert. Denn bei dem Getöteten handelt es sich um Nikola David, Kantor der liberalen jüdischen Münchner Gemeinde Beth Schalom. Der Kantor ist ein Vorsänger, der in der Liturgie eine große Rolle spielt. Am höchsten Feiertag der Juden, an Jom Kippur, singt ein Kantor ohne Pause, den ganzen Tag. Wer David zuhörte, war verzaubert, sagen Weggefährten.

Noch können seine Freunde und Bekannten nicht fassen, dass der 55-Jährige tot ist. „Er war ein Ausnahmemensch und ein Ausnahmemusiker“, sagt Eric Smutny, der im Vorstand von Beth Schalom sitzt. Er traf Nikola David zum letzten Mal am 19. Juli, beim Sommerfest begleitete er den Gottesdienst musikalisch. „Er war ein sehr liebevoller Mensch. Er wird uns schrecklich fehlen, ersetzen kann man ihn nicht.“ Immer mehr Kondolenzschreiben kommen bei der Gemeinde an, aus aller Welt. Und auch Charlotte Knobloch, Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern, meldet sich auf der Plattform X zu Wort: „Ich bin absolut bestürzt über die Nachricht.“ Davids Tod markiere einen schmerzhaften Verlust für die jüdische Gemeinschaft in München.

Kantor Nikola David wurde nach Angaben der Gemeinde im heutigen Serbien geboren. Er studierte Musikpädagogik und Gesang und wirkt als Opernsänger unter anderem am Landestheater Thüringen in Eisenach, am Theater Augsburg und am Anhaltischen Theater in Dessau. Dann traf er einen Rabbiner. Nach vielen Gesprächen mit dem jüdischen Geistlichen entschloss er sich, einen neuen Weg einzuschlagen, und absolvierte am Abraham Geiger Kolleg in Potsdam und an der Universität Potsdam eine Kantorenausbildung. Als erster jüdischer Kantor in Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg wurde Nikola David 2013 ins Amt eingeführt. Seit 2014 war er Kantor der Gemeinde Beth Shalom.

David kam viel herum, auch in Oberbayern. Bei einer großen Gedenkfeier in der KZ-Gedenkstätte Dachau vor einigen Jahren trug er ein Gedenkgebet vor. Erst im Juni schritt er mit einer neuen Tora-Rolle durch das Richard-Strauss-Institut in Garmisch-Partenkirchen. Das wehmütige Lied, das er dabei sang, berührte die Gäste tief. Es waren aber auch schwierige Zeiten: Im November 2023 sollte David bei einem Konzert in der Pfarrkirche von Seeshaupt auftreten. Wegen der aktuellen politischen Lage sagte man die Veranstaltung ab. Zu gefährlich.

Der Verstorbene lebte in Augsburg. Wie die Polizei auf Anfrage mitteilt, handelte es sich bei dem Mehrfamilienhaus um den Wohnort von Vater und Sohn. Wegen laufender Ermittlungen sagen die Beamten nichts zur Ursache der Auseinandersetzung oder zum Verhältnis zwischen Vater und Sohn. Nachbarn erlebten beide stets freundlich und ruhig.

Die Gemeinde schreibt auf ihrer Internetseite: „Unsere Gedanken sind bei seiner Familie.“ Um die Angehörigen zu unterstützen, sammelt Beth Schalom Spenden. Zeitnah soll die Beerdigung stattfinden. Die ersten sieben Tage nach der Beerdigung heißen im Judentum „Schiwa“ („sieben“), beim „Schiwa-Sitzen“ trauern die Angehörigen des Verstorbenen auf niedrigen Stühlen zusammen. Etwas später plant die Gemeinde eine Trauerfeier. Auf der Internetseite steht: „Wie wir Nikola kannten, leitet er bereits einen Engels-Chor…“

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