DNA-Test zerstört Mythos um Hauser

von Redaktion

Um Findling Kaspar Hauser rankt sich eine fast 200 Jahre alte Verschwörungstheorie. Er soll ein badischer Erbprinz gewesen sein. Walther Parson, Gerichtsmediziner aus Innsbruck, hat den Fall mit moderner Technik untersucht – und gelöst.

Der Grabstein von Kaspar Hauser in Ansbach. © dpa

Kaspar Hauser lebte bis zu seinem Tod in Ansbach. Über den Martin-Luther-Platz könnte er öfter spaziert sein. © imago

Er löst Rätsel im Labor: Gerichtsmediziner Walther Parson von der Medizinischen Universität Innsbruck. © Bullock

Der Kupferstich zeigt den jungen Kaspar Hauser kurz nach seiner Ankunft in Nürnberg. Seine Hose ist viel zu kurz, seine Stiefel sind völlig zerfleddert. © IMAGO/Gemini

Innsbruck/Ansbach – Kürzlich hatte Walther Parson ein Stück Kaspar Hauser in der Hand. Genauer: ein paar Locken des rätselhaften Findelkindes, das im Jahr 1828 ganz Bayern in Aufruhr versetzte. Walther Parson ist Gerichtsmediziner und hat die DNA in den Locken mit einer neuen Methode analysiert. Die Ergebnisse sind bahnbrechend – durch sie löst sich eine fast 200 Jahre alte Verschwörungstheorie quasi in Luft auf.

An der Medizinischen Universität Innsbruck leitet Parson am Institut für Gerichtliche Medizin den Forschungsbereich Forensische Genomik. Seit 2019 beschäftigen die berühmten Locken das Team des 58-Jährigen. Einige wurden Kaspar Hauser noch zu Lebzeiten abgeschnitten, einige erst nach seinem Tod am 17. Dezember 1833. „Die drei Locken sind in Privatbesitz und die Besitzer haben sich an uns gewandt“, sagt Parson. „Sie sind schon öfter analysiert worden. Wir konnten dieses Mal aber sehr, sehr kleine DNA-Fragmente gewinnen und die Untersuchung präziser durchführen, als es Forschern in den Jahren 1996 und 2001/2002 möglich war.“

Diese noch modernere Technik sollte Licht ins Dunkle bringen. Denn kaum eine Person in der bayerischen Geschichte ist so rätselhaft wie Kaspar Hauser. Denn noch immer ist unklar, wer er wirklich war.

Pfingstmontag, 1828: Ein junger Mann stolpert durch Nürnberg. Er kann kaum gehen, kaum sprechen. Seine Kleidung ist verschlissen. Zwei Briefe hat er bei sich. In dem einen erklärt ein Unbekannter, er habe den Bub 1812 vor seiner Tür gefunden und abgeschottet großgezogen. In dem anderen berichtet die Mutter, sie könne ihren Bub Kaspar nicht ernähren. Der junge Mann kann immerhin seinen Namen schreiben: Kaspar Hauser.

Diverse Leute nehmen den Findling danach auf, später kommt er nach Ansbach. Er berichtet, er sei in einem Verlies aufgewachsen und habe nie einen Menschen zu Gesicht bekommen. Irgendwann sei ein Mann erscheinen, habe ihn Gehen, Sprechen und das Schreiben seines Namens gelehrt. Dieser Mann soll ihn in Nürnberg ausgesetzt haben. Schon zu Lebzeiten macht Hauser all das zur Attraktion. Für die einen ist er ein Hochstapler. Für andere ein medizinisches Rätsel. Für wieder andere ist er der verschollene leibliche Sohn von Großherzog Karl von Baden und seiner Frau Stéphanie de Beauharnais. Denn das Kind war 1812 nur 18 Tage nach seiner Geburt namenlos gestorben. Laut der Erbprinz-Theorie soll Kaspar Hauser also als kerngesunder Säugling entführt und gegen den sterbenden Sohn einer Bediensteten ausgetauscht worden sein.

Als Großherzog Karl wenig später ohne männlichen Erben starb, ging der Titel an seinen Onkel, der aus einer nicht standesgemäßen Ehe stammte. Auch König Ludwig I. glaubte an eine Verschwörung. Hier kommen die Innsbrucker Forscher ins Spiel. „Wir konnten eine mütterliche Verwandtschaft zum Haus Baden mit 99,9994-prozentiger Sicherheit ausschließen“, sagt Parson. Hauser war kein Prinz. Das beweist die Untersuchung seiner Locken, also die mitochondriale DNA, die sie enthalten. Diese Erbgut-Sequenz liegt in den Mitochondrien, den Kraftwerken der Zelle.

„Eine Mutter gibt die mitochondriale DNA an ihre Töchter und Söhne, aber nur ihre Töchter vererben sie weiter“, erklärt Parson. Von vier weiblichen Nachkommen von Großherzogin Stéphanie wurden Abstriche an den Mundschleimhäuten entnommen. „Die nunmehr durch die Locken gesicherte DNA-Sequenz von Kaspar Hauser, ein Mitotyp W, weicht deutlich von der badischen Abstammungslinie, dem Mitotyp H1bs, ab.“

Kein Prinz, aber Opfer eines Verbrechens?

Die Innsbrucker hatten 2021 die gleiche Analyse von Forschern in Potsdam durchführen lassen. Dass da ein Stück Hauser auf ihrem Tisch lag, wussten sie nicht, kamen aber zum selben Ergebnis. „Wir betonen aber, dass dieses Ergebnis nicht als ein Beleg für die Betrüger-Theorie missverstanden werden sollte“, sagt Parson. „Denn auch wenn Kaspar Hauser kein badischer Prinz war, könnte er Opfer verschiedener Verbrechen gewesen sein.“

Parson hat Erfahrung mit historisch brisanten Fällen. Auf seinem Labortisch lagen schon der mutmaßliche Schädel von Mozart, zwei Skelette, die beide mal Dichter Friedrich Schiller gewesen sein sollten, und die Gebeine der vermissten Zarenkinder Alexei und Maria. Im Fall Hauser ist noch vieles unklar. „Um seiner Identität näherzukommen, wären Analysen der Kern-DNA nötig“, sagt Parson. „Das ist aber nur mit Proben von Blut oder Knochen möglich, nicht mit Haaren.“

In Ansbach, wo er 1833 nach Stichverletzungen in den Bauch starb, ruht Hauser auf dem Stadtfriedhof. Und in einem örtlichen Museum wird die Unterhose aufbewahrt, die er damals trug. Auf ihr soll sich altes Blut befinden. So etwas wäre natürlich der Jackpot für die Gen-Forscher.

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