DER URLAUB MEINES LEBENS

Mit dem Dirndl nach Casablanca

von Redaktion

Christine Haslbeck reiste mit dem Schiff nach Marokko

Im Dirndl in Breitbrunn: Christine Haslbeck ist heute 76 Jahre alt und lebt am Chiemsee.

Bayerische Tracht mitten in Casablanca: Die 16-jährige Christine Haslbeck in Marokko. © Privat

Breitbrunn – Mit jedem Buchstaben, den Christine Haslbeck aufs Papier bringt, rückt der große Traum näher. 16 Jahre ist die Münchnerin alt, sie macht gerade noch eine Ausbildung zur Industriekauffrau. Jeden Abend nach der Arbeit setzt sie sich auf ihr Radl und fährt nach Schwabing in ein Schreibbüro. Dort tippt sie Doktorarbeiten ab und beschriftet Kuverts für Schimmelkäse-Reklame. 360 Mark verdient sie so – und damit finanziert sie sich ihre erste Reise ohne Eltern. „Das war unglaublich viel Geld“, sagt Christine Haslbeck, heute 76. Ihr Lehrlingslohn waren damals 80 Mark im Monat.

Mit einer Jugendreiseorganisation will die Jugendliche nach Marokko. Ein Sonderzug fährt durch ganz Deutschland und sammelt die Teenager ein. Christine Haslbeck steigt in München zu, in ihren Koffer hat sie ein Dirndl eingepackt – dazu später mehr. Erst mal fährt der Zug nach Genua, dort betreten die Jugendlichen ein großes Schiff. Es geht ohne Zwischenstopp durchs Mittelmeer nach Gibraltar, vorbei an Mallorca und Menorca. Die Jugendlichen hören an Bord Vorträge über die Inseln, schauen Filme über die Länder, die sie passieren. Und dann endlich am Ziel: Casablanca, Marokko.

Als die anderen Jugendlichen von Bord gehen und Ausflüge im Land machen, macht sich Christine Haslbeck selbstständig. Sie trifft eine Bekannte – die Verlobte des Bruders eines marokkanischen Arbeitskollegen – und deren Freundin, die beide zu der Zeit in Casablanca sind. Sie verbringt drei Tage bei der Familie. Als sie auf den Bazar gehen, ist ein besonderes Outfit nötig: „Ich als mollige Blonde wurde einheimisch eingekleidet“, erzählt sie. Ein wallendes Kleid, das Gesicht verschleiert. Auf dem Markt erkennt sie, warum das nötig ist: Kaum Frauen sind unterwegs, wenn, dann vollverschleiert. Sie saugt die Atmosphäre auf, vergisst das nie wieder. Einmal zieht sie ihr Dirndl an und lässt sich vor einem Turm in Casablanca fotografieren. Im Dirndl in Marokko! Als sie wieder auf dem Schiff ist, tritt sie bei einem der Unterhaltungsabende auf – wieder kommt das Dirndl zum Einsatz. Denn die Jugendlichen sollen jeweils eine kleine Aufführung aus ihrer Heimat zum Besten geben. Christine Haslbeck singt in Tracht ein bayerisches Lied, welches, hat sie vergessen. Ihre Freundinnen daheim staunen später, als die die Reisegeschichten erzählt.

Schon vor diesem Abenteuer hat Christine Haslbeck das Reisen geliebt. Wenn sie mit ihrem Vater, ihrer Stiefmutter und ihrer jüngeren Stiefschwester im Fiat Topolino Verwandte in Niederbayern oder Österreich besucht, besichtigen sie Sehenswürdigkeiten auf dem Weg. Später reist sie viel mit ihrem Mann, die beiden haben einen VW-Bus, gehen zum Kajaken, Motorradfahren. Der große Traum ist eine Weltreise. Doch die beiden arbeiten viel, Christine Haslbeck leitet vor ihrer Rente sogar die IT-Abteilung von AEG. „Jedesmal, wenn einer Zeit hatte, hatte der andere einen großen Auftrag“, sagt sie. 1992 stirbt ihr Mann. Als sie aufhört zu arbeiten, zieht sie in das geerbte Haus seiner Großeltern in Breitbrunn am Chiemsee.

Irgendwann wühlt sie in Kisten und Schränken. An einer alten Ziehharmonika entdeckt sie eine Nachricht, ihr Mann hat sie geschrieben. „Damit kannst du dir auf der Weltreise Geld verdienen“, steht darauf. Sie beschließt, die Weltreise allein zu machen. Im November 2010 setzt sie sich in Prien in den Zug, über Hamburg geht es nach Sankt Petersburg. Dort steigt sie in die Transsibirische Eisenbahn, sie wollte schon immer mal am zugefrorenen Baikalsee vorbeifahren. In Wladiwostok geht sie auf ein Schiff, damit fährt sie nach Korea, obwohl sie das gar nicht vor hatte. Sie bereist Japan, steigt dort zum ersten Mal in ein Flugzeug, fliegt nach Australien, Neuseeland, Tasmanien, in die Südsee, weiter nach Chile, Argentinien, Spanien. Nach zehn Monaten kommt sie wieder daheim am Chiemsee an.

Durch das Reisen hat Christine Haslbeck Freunde auf der ganzen Welt. Oft hat sie bei Wildfremden übernachtet, die über die Plattform Servas einen Schlafplatz anbieten. Die 76-Jährige selbst ist ebenfalls Servas-Gastgeberin, immer wieder bekommt sie Besuch. Sie hat auch schon Vorträge gehalten, zu dem über ihre Weltreise kamen 100 Zuhörer. Aber bald geht Christine Haslbeck wieder auf Reisen. Ihr nächstes Ziel: Sri Lanka.
CARINA ZIMNIOK

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