Aufruhr um den Killer im Kino

von Redaktion

Er hat einen Menschen mit 111 Stichen getötet und enthauptet – trotzdem durfte ein 24-jähriger Somalier in Plattling ins Kino. Dort gelingt ihm die Flucht. Die Region ist entsetzt. Und es gibt erste Konsequenzen.

Ministerin Ulrike Scharf, zuständig für Maßregelvollzug. © dpa

Er tötete einen Obdachlosen mit 111 Stichen. © Polizei

In diesem Kino schaute sich der 24-Jährige einen Kinderfilm an. Einen vorgetäuschten Toilettengang nutzte er zur Flucht. Nach zwei Minuten fiel das den Begleiterinnen auf, nach sieben Minuten begann die Fahndung. © vifogra (2)

Plattling – Juli 2011, eine Obdachlosenunterkunft in Regen, Niederbayern. Ein 21-jähriger Somalier greift einen 52 Jahre alten Mitbewohner an, sticht 111 Mal auf ihn ein und enthauptet ihn. Der Täter flüchtet, wird aber kurz darauf festgenommen.

Zwei Monate später, Bezirksklinikum Mainkofen. Der Geflüchtete aus Somalia ist in der Psychiatrie im Maßregelvollzug. Am 3. September 2021 steigt der Mann in einen großen, geschlossenen Essenswagen. Er will das gesicherte Klinikgebäude verlassen. Allerdings gelingt ihm die Flucht nicht. Er muss einige Tage in ein Kriseninterventionszimmer. Dabei handelt es sich laut Bezirk Niederbayern um einen besonders gesicherten Behandlungsraum, in dem der Patient beobachtet wird. Er wird auch therapiert, verhält sich „unauffällig, angepasst“ – einen Fluchtversuch unternimmt der Somalier nicht mehr. Bis zum vergangenen Donnerstag.

Der inzwischen 24-Jährige bekommt Ausgang. Mit vier Begleiterinnen, darunter eine Studentin, die ein Praktikum absolviert, geht der Mann am Nachmittag ins Kino in Plattling. Ob das seine Idee war, ist laut Bezirk nicht bekannt, in der Regel plant das Behandlungsteam eine sogenannte externe Erprobungsmaßnahme. Es läuft die Animationskomödie „Ich – Einfach unverbesserlich 4“, im Saal sitzen zahlreiche Kinder mit ihren Eltern. Irgendwann behauptet der Somalier, er müsse auf die Toilette. Doch er nutzt die Gelegenheit und „ein kommunikatives Missverständnis der vier Begleitpersonen“, so heißt es vom Bezirk Niederbayern, und haut ab. Das fällt zwei Minuten später auf, sieben Minuten später beginnt die Großfahndung. Eine elektronische Fußfessel trägt der Mann nicht, dafür gibt es keinen richterlichen Beschluss. Die Polizei beschreibt ihn als „äußerst gefährlich“, warnt, im Raum Plattling Anhalter mitzunehmen. Die Beamten veröffentlichen ein unscharfes Fahndungsfoto, gegen 23.30 Uhr gehen Hinweise aus der Bevölkerung ein. Der Flüchtige wird an einem Discounter festgenommen.

Vor Ort sorgt der Vorfall für großes Entsetzen. Bei der „Passauer Neuen Presse“ gehen wütende Leserbriefe ein. Ein Mann schreibt: „Der Mann hat auf bestialische Art und Weise jemanden getötet und wird von ,forensischem Fachpersonal‘ in die Nachmittagsvorstellung eines Kinos gesetzt. Mitten zwischen Mütter mit ihren Kindern.“ Und: „Man mag sich gar nicht vorstellen, was da alles hätte passieren können.“ Ein anderer will wissen, „wer es verantworten kann, dass solche gefährlichen Menschen mitten unter uns unterwegs sind, in einem Kinderfilm, wo eben Kinder sein werden“. Das Blatt zitiert auch eine Augenzeugin, die im Kino war: Dass sich ein Straftäter in den Schulferien nachmittags bei einem Kinderfilm amüsieren darf, „finde ich eine Sauerei“.

Der Kinobetreiber hat bekannt gegeben, dass sein Kino künftig nicht mehr für Ausgänge von Forensik-Patienten zur Verfügung steht. Aber: Ein verurteilter Totschläger im Kino voller Familien – ist das sinnvoll? Das zuständige Sozialministerium, an dessen Spitze Ulrike Scharf (CSU) steht, betont, dass die Resozialisierung für eine erfolgreiche Behandlung eine „hohe Bedeutung“ habe, damit soll die untergebrachte Person auf ein straffreies Leben vorbereitet werden. Sei zu erwarten, dass die Lockerung nicht missbraucht wird, müsse der Vollzug der Unterbringung sogar zwingend gelockert werden. Und nur in der Öffentlichkeit könne die Anpassung an die Lebensverhältnisse in Freiheit erprobt werden.

Laut Bezirk geht es dabei grundsätzlich um „Aktivitäten zur Verbesserung von Defiziten“ wie Ängste, soziale Unsicherheit, Eingliederung in eine Gemeinschaft. Das könne zum Beispiel ein Einkauf sein oder die Nutzung von Verkehrsmitteln. Was nicht geht, sei zum Beispiel eine Beteiligung an Sportarten, die mit einer „vermehrten Gewalttätigkeit einhergehen“, wie etwa Kickboxen. Auch der Besuch von großen Volksfesten, wo Drogen und Alkohol konsumiert werden könnten, sei ausgeschlossen. Das Ministerium betont: „Die Sicherheit der Bevölkerung hat dabei stets Priorität.“

Der Somalier leidet an einer paranoiden Schizophrenie, oft haben Betroffene Wahnvorstellungen, Störungen des Ich-Bewusstseins und Halluzinationen. Der 24-Jährige nimmt dagegen Medikamente. Laut Bezirk wurde die Medikation vor dem Kinobesuch nicht verändert, eine „unmittelbare Gefährdung der Bevölkerung war nicht zu erwarten“. Allerdings lässt das Bezirksklinikum Mainkofen nach dem Vorfall keine Kino-Besuche mehr zu. Außerdem würden aktuell interne und externe Vorgänge überprüft und eventuell angepasst. Gibt es personelle Konsequenzen? Das wird laut Ministerium nach der Überprüfung des Vorfalls entschieden.

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